Montag, 3. Mai 2021

Ramadan (III): Essensbestellungen

Stellen wir uns einen jungen Mann vor, charmant, dynamisch, sexy, der versucht regelmäßig zu kochen, gern auch in größeren Portionen, um die nächsten Tage von den gesunden und leckeren Vorräten zu zehren, um seinen stählernen Körper mit den notwendigen Nährstoffen zu Höchstleistungen anzuspornen. Stellen wir uns vor, er würde eines Tages in einem großen Topf Zwiebeln andünsten, dazu ein bisschen Knoblauch, klein geschnittene Karotten würden ebenfalls hineingeworfen, bevor die ca. 300 g braunen Linsen langsam eine hypothetisch entstehende Linsensuppe erahnen ließen. Eine Gemüsebrühe sowie Saft von zwei Orangen deckten die Masse ab und der Koch würde diesen Topf auf leichter Stufe weiterköcheln lassen. Wie gesagt, alles rein hypothetisch.

 Ebenfalls hypothetisch würde sich dieser muskulöse Mann für fünf Minuten hinlegen, vielleicht ist diese Erschöpfung eine Folge einer kürzlich überstandenen Corona-Infektion, wir wissen es nicht, es ist ja nur hypothetisch. Wenn aber nun diese geplanten und auch gefühlten hypothetischen fünf Minuten Schlaf nun eine hypothetisch-faktische Stunde angedauert hätten, so hätte sich in der Zwischenzeit die hypothetisch leckere Suppe mangels Aufsicht in hypothetisch-faktischen Müll verwandelt. 

 Dem geneigten Leser ist natürlich klar, dass ein solches Missgeschick auch den Besten unter uns passieren könnte und somit nur der den ersten Stein werfen sollte, der frei von Sünde ist. Wenn dieser junge, attraktive Mann aus unserem erfundenen Beispiel nun ein wenig geknickt, aber nach wie vor hungrig ist, so ist es nur nachvollziehbar, dass er auf seinem Handy eine Bestell-App öffnet, um sich Essen nach Hause liefern zu lassen, trotz des schlechten Gewissens Plastikmüll zu produzieren und weniger gesund essen zu können als ursprünglich geplant. Jetzt ist allerdings die Frage, inwiefern unterscheidet sich seine Bestellerfahrung mit und ohne Ramadan. Hierzu erfordert es eine profunde und gewissenhafte wissenschaftliche Untersuchung.

Oberfläche der Bestellapp Talabat.

 Jeder, der mich kennt, weiß, welche Opfer ich für die Wissenschaft zu bringen bereit bin und so bestellte ich bereits seit Wochen vor dem Ramadan fast täglich eine Mahlzeit, um dies mit meinen Erkenntnissen aus dem Ramadan abzugleichen. Das Ergebnis ist zwar leider keine empirische Datenbasis - meine Leidenschaft für die Wissenschaft hört eben da auf, wo die Arbeit beginnt -, aber ich habe meines Erachtens ein sehr fundiertes Gefühl, und Gefühle sind ja sowieso die Fakten des 21. Jahrhunderts. 

 Folgende Erkenntnisse sind festzuhalten:

Ohne Ramadan haben die meisten Restaurants dann geöffnet, wenn ich auch essen möchte. Das schließt Frühstück, Mittagessen, Abendessen und gegebenenfalls ein notwendiger Nachtsnack mit ein. 

 An Ramadan gibt es meist kein Frühstück, wenn ich ein Frühstück haben möchte. Dafür kann ich Essenspakete für Obdachlose ordern.

 Zu Mittag spielt man russisches Roulette. Ist mein bevorzugtes Restaurant geöffnet; nimmt es Bestellungen an, wenn es geöffnet ist; liefert es in einer angemessenen Zeit, selbst wenn es die Bestellung annimmt? Über jeder Bestellung schwebt dieses Damoklesschwert, welches ohne Ramadan nicht da wäre. Der Bestellvorgang wird also deutlich weniger vorhersehbar, weniger planbar und es kann passieren, dass man erst 30 Minuten essen kann, nachdem es eigentlich geplant war oder gezwungen ist, mit den Restaurants zu experimentieren, was selten zur Zufriedenheit ausfällt. 

 Kurz: Das Leben im Ramadan ist deutlich härter, fast feindselig, wenn es darum geht, nicht selbst kochen zu wollen. Gut, ich könnte selbst kochen, aber dazu habe ich im Moment zu viel Angst vor hypothetischen Missgeschicken. 


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