Samstag, 28. November 2020

Warum mich die Klassengesellschaft bei einem Wasserschaden schlafen lässt

Letzte Woche hatte ich in meiner neuen Wohnung einen Wasserschaden und während zwei Personen dieses Wasser bekämpften und dabei beaufsichtigt wurden, konnte ich ein Zimmer weiter seelenruhig im Bett liegen. Aber der Reihe nach. 

Zuerst: Ich bin umgezogen! Gut, ehrlicherweise schon vor vier Wochen, aber ich, ähem, hatte sehr langsames Internet und der folgende Text ist sooooo gut, dass er die Datenmenge der Herr der Ringe-Trilogie (Extended Cut) mit einer 70K-Auflösung umfasst. Und da eine 70K-Technologie erst noch erfunden werden muss, könnt ihr froh sein, dass der Artikel überhaupt schon hochgeladen ist. Seid also lieber mal dankbar, dafür, dass ich euch, ähem, an meinem exklusiven Leben teilhaben lasse. Der Internetruhm, die Werbeeinnahmen und meine großen Erfolge bei den Frauen sind nur Nebengeräusche, die ich als Folge meiner Bloggertätigkeit mehr ertrage als willkommen heiße, nur um die Welt mit meinen philosophischen Gedanken zu bereichern - und um eines Tages den Weltfrieden zu verwirklichen. Dieser Blog ist absolut kein Werkzeug der Selbstdarstellung, mit dem ich mich als abenteuerlich, mutig und cool darstelle, nur um die innere Leere, um die mein Leben kreist, zu übertünchen. 

 Die weitere Wohnungssuche sowie der Umzug wären eigene Artikel wert, aber fokussieren wir auf das Wesentliche: Die neue Wohnung ist in vielen Dingen vergleichbar mit der alten Wohnung, kostet dabei aber nur etwas mehr als die Hälfte. 

 Allerdings hatte ich vor einer Woche einen Wasserrohrbruch. Natürlich nachts um halb drei. Trotz des Ärgernisses war es spannend zu sehen, wie das hier gehandhabt wird. Mein Vermieter rief mich an, weil Wasser aus meiner Wohnung offensichtlich zu einem Wasserfall im Treppenhaus führte. Eine kurze Untersuchung vor Ort zeigte ein leckes Rohr in meinem Bad – und Wasser in fast der gesamten Wohnung (vielleicht so 80 qm groß). Er weckte dann unseren bawab - jemand, der grundsätzlich auf das Haus aufpasst und auch Botengänge und kleinere Reparaturen ausführt. Meistens kommen diese aus dem Fayum oder Oberägypten und sind sozial eher gering angesehen. Also kam der bawab mit seiner Frau vorbei, stoppte den Wasserlauf und dann wischten die beiden unter der Aufsicht meines Vermieters das Wasser ab und schütteten es weg. Mein Vermieter krümmte aber nicht nur keinen Finger, sondern forderte mich auf, mich wieder ins Bett zu legen, er würde sich schon um die Angelegenheit kümmern. Und das machte ich dann natürlich auch.

 Als Internet-Celebrity werde ich dafür sicher von dem ein oder anderen Hater für diese Handlung kritisiert. Klar, aus dieser Kritik spricht sicher hauptsächlich Neid ob meiner unüberblickbaren Schar von Anhängern, Jüngern und Groupies; wenn dieser Hater aber über sich hinauswachsen könnte, wenn er nicht aus einem Reflex die Augen schließen würde im Angesicht meiner strahlenden Persönlichkeit, dann könnte er vielleicht offen sein, für den anderen sozialen Kontext hier in Ägypten, durch den meine Handlung nicht nur als akzeptabel erscheint, nein, sogar als moralisch geboten. 

 Ägypten ist eine Klassengesellschaft, in der es vor allem ein Oben und ein Unten gibt. Oben sind die mit Beziehungen und Geld und unten der ganze Rest. Eine nennenswerte Mittelschicht gibt es eigentlich kaum. In jeder Situation muss für den Ägypter also klar werden, wer das Sagen hat und wer zu gehorchen hat. In der Regel wird das durch selbstbewusste Auftreten und Befehlston schon deutlich gemacht. Bourdieu würde hier vom sozialen Kapital sprechen, von angelernten Verhaltensweisen der Oberschicht, die der Unterschicht klar machen, wo der Hammer hängt. Ein klares Abgrenzungsmerkmal vom basher zu seinem Untergebenen ist die Arbeit mit den eigenen Händen. Ein basher trägt nichts, er schleppt keine schweren Sachen, er macht sich die Hände nicht dreckig. Man muss es fast als eine Art symbolische Handlung verstehen, die ganz bewusst unterlassen wird. Das geht dann so weit, dass der Aussprich "Ich mache das" bedeutet, dass dem Untergebenen gesagt wird, was zu tun ist. Hier wird also der Untergebene - analog zu Aristoteles' Auffassung von Sklaven - als Werkzeug ohne eigenen Willen betrachtet. 

 Finde ich diesen Aspekt gut? Natürlich nicht. Und gerade zu Beginn habe ich ganz zielgerichtet versucht, das zu unterlaufen, weil sie meinem Selbstverständnis widersprachen. Im Supermarkt brauche ich niemanden, der meinen Einkaufswagen schiebt und befüllt und auch niemanden, der meine gekauften Waren eintütet. Wenn ich aber zum Beispiel meine Einkaufstüten oder meine Koffer vom Flug selbst durch das Treppenhaus nach oben trage, signalisiere ich meinem Bawab - ob ich es möchte oder nicht -, dass er seinen Job nicht ordentlich macht, was sein Selbstverständnis als guter bawab beleidigt. Besser ist es in solchen Situationen manchmal, die teilweise aufdrängende bis aufdringliche Hilfe anzunehmen und dafür fünf Pfund (ca. 30 Cent) Trinkgeld zu geben. 

 Zurück zu meinem Wasserschaden. Die Entscheidung musste also getroffen werden, ob ich nachts um halb drei für die kommenden Stunden Wasser schöpfe oder ob mich wieder hinlege. In Deutschland hätte ich schon aus Angst vor der sozialen Ächtung halbherzig mit angepackt. Hier in Ägypten aber führten mein moralischer Kompass und mein inneres Verlangen nach Schlaf gemeinsam in friedlicher Eintracht mich in mein Schlafzimmer, betteten mich, deckten mich zu und gaben mir einen Gute-Nacht-Kuss, so dass ich die kommenden Stunden friedlich wach bleiben konnte, um meinem bawab und seiner Frau beim Arbeiten zuzuhören. Am nächsten Morgen gab ich ihm dann als Dank für die nächtliche Aktion Geld, von dem er noch etwas mehr forderte und auch bekam. Insgesamt würde ich die Erfahrung als eine seltsame Mischung aus win-win und lose-lose bezeichnen. 


Montag, 16. November 2020

Ägyptische Musik: Nesma Mahgoub

Da ich in einem anderen Land lebe, bin ich natürlich auch an der hiesigen Kultur interessiert. Von daher ging ich vor einigen Wochen mit Kollege J. in die Oper, genauer gesagt, in den Garten der Oper mit Hygieneabstand und Mundschutz. Dort spielte laut seiner tiefgründigen Recherche "irgendwas Arabisches". Verbunden mit dem Veranstaltungsort stellte ich mir irgendetwas hochtrabend Klassisches vor, drei alte Säcke mit einer Oud oder so. Man sieht, ich war gut vorbereitet und meine Erwartungen an den Abend waren nicht existent. Vor Ort überraschte mich dann doch der etwas horrende Kartenpreis, statt der üblichen 3,50 € musste ich 6,50 € hinlegen. J. meinte, das läge an einem Starzuschlag, was dann nun doch meine Neugier müde weckte.

Auf der Bühne erschienen dann eben keine drei alte Säcke, sondern vier oder fünf junge Kerle, die aber nur Begleitung für die Sängerin waren: Nesma Mahgoub, eine Sängerin mit den lockigsten Haaren, kleine Statur, große Stimme. Ich muss jetzt schon vorausschicken: Das wird durch die YouTube-Videos leider nicht ganz deutlich.

Folgendes Lied könnten sogar manche kennen:


Das ist die arabsiche Version von "Let it go" aus dem Disney-Film Frozen. Nesma synchronisierte auch in beiden Teilen die Stimme der Hauptdarstellerin, also entweder Elsa oder Hannelore ... oder wie auch immer. 

Das erklärte dann auch den Starzuschlag. Am Abend selbst wechselte Nesma zwischen eigenen Songs und - meist englischsprachigen - Coverliedern hin und her. Das war durchaus gefällig und schön. Am meisten gefiel mir der Song Wujuh, vermutlich weil ich den Refrain schon beim zweiten Mal mitsingen konnte. Natürlich nur innerlich, nicht dass ich mich noch blamiere. Wujuh ist ein arabisches Wort und wenn jemand Arabisch sprechen kann, dann kann er vielleicht nicht nur was mit dem Titel anfangen, sondern auch mit dem anschließenden Text, ebenfallst Arabisch. Meine erste Deutungshypothese ist, dass sie damit irgendwelche Gefühle ausdrückt. Aber wer weiß: Vielleicht ist im Liedtext auch eine wissenschaftliche Arbeit in Politikwissenschaften versteckt. Für eine Promotion an der FU Berlin könnte das heutzutage sogar reichen.


Am meisten überraschte mich aber, dass Nesma an unserer deutschen Schule das Abitur gemacht hat. Dazu hat sie ein- oder zweimal bei "Jugend musiziert" teilgenommen - und gewonnen, bevor sie über die arabische Version von "Deutschland sucht den Superstar" bekannt wurde. Die Welt hier in Kairo ist manchmal schon ziemlich klein. 

Ihr neustes Lied kam gerade vor einem Monat heraus. Kul shams W Liha Del heißt laut Google: Jede Sonne hat ihren Schatten. (Wobei ich wenigstens die Hälfte tatsächlich verstanden habe.)


Ich wünsche einen schönen Start in die Woche.



Dienstag, 3. November 2020

Andere Länder, andere Sitten I: Für TikTok ins Gefängnis

 

Wofür kann man in Ägypten schon ins Gefängnis kommen? Zum Beispiel eine nackte Schulter in TikTok-Videos. 


Was in dem Video nicht zur Sprache kommt: Die Gefängnisse sind hier in einem katastrophalen Zustand - für Männer wie für Frauen. Übergriffe, Missbrauch und Vergewaltigungen sind hier durchaus an der Tagesordnung. Meine Achtklässler konnten letztes Jahr kaum glauben, wie die Zelle eines deutschen Jugendgefängnisses aussah, das im Buch abgebildet war (dabei war das Bild von 1998). 

Vorsicht, jetzt wird es etwas düster: So schreibt Ala al-Aswani in seinem 2004 veröffentlichten Buch von Der Jakubiyan-Bau wie ein Muslimbruder mit einem Besenstiel gefoltert wird. Zu bedenken dabei ist, dass zu der Zeit die Zensur durchaus aktiv war. Rückschluss: Der Staat wollte (und will vermutlich immer noch), dass die Bürger von diesen Praktiken wissen, um abzuschrecken. Der Zustand in den Gefängnissen ist dementsprechend keine Auswirkung von zu geringer Finanzierung - schließlich ist Ägypten ein armes Land -, sondern System. 

Montag, 2. November 2020

Ägyptische Musik: Mafia Mafia

Um mal ein wenig multimediale Abwechslung in den Blog zu bringen, möchte ich mal in regelmäßigen Abständen (höhöhö!) ägyptische Musik vorstellen. 

"Mafia Mafia" ist das erste Lied, das irgendwie hängen geblieben ist. Vermutlich liegt es daran, dass hier das Wort "Mafia" so ziemlich das Gleiche bedeutet wie Zuhause auch. Titel und Video lassen darauf schließen, dass sich der Sänger hier als ein Gangster alten Schlages inszeniert. (Vermutlich würde man das nicht erkennen, wenn man mit der hiesigen Kultur wenig zu tun hat.) 



Montag, 19. Oktober 2020

Wer Wind säht ...

Die erste Saison meines Lesewettbewerbs in der 9. Klasse ist durch. Ein Teil der Schüler hat es recht gut angenommen. Jetzt habe ich die Klasse in fünf Ligen eingeteilt, so dass Vielleser mit Viellesern konkurrieren und Wenigleser mit Weniglesern. So sollte jeder einen Anreiz haben, auch wirklich zu einem Buch zu greifen. Allerdings habe ich zwei Fehler begangen:

 1. Die Preise - Haribopackungen - lagern bei mir Zuhause und schwinden ab und an auf mysteriöse Weise, so dass ich sie nachkaufen muss. Meine Klasse ist erst am Sonntag wieder in der Schule, da die Unter- und Mittelstufe in einem zweiwöchigen Rhythmus wechselt.

2. Ich habe selbst mitgemacht. Das führt dann - temporär! - zu solchen für mich ungünstigen Momentaufnahmen:  

Temporär sieht es schlecht für mich aus. Zwei Wochen habe ich noch.

Leider wurde dieser Umstand auch schon von einem Schüler bemerkt.

Ohne Worte.

Da müssen wohl bald mal wieder mündliche Noten gemacht werden... 

Freitag, 16. Oktober 2020

Wohnungssuche, die Zweite

 Als regelrechte Achterbahnfahrt könnte man die letzten Wochen beschreiben. Doch der Reihe nach.

Meine erste Wohnungsbesichtigung war ja durchwachsen. Die meisten Wohnungen kamen schon im Aufzug auf der Fahrt nach oben kaum in Frage, da das Haus, das um die Wohnung herum gebaut war, schon kurz vor der Pensionierung stand. Vielleicht war ich ja auch einfach pingelig, aber ein Aufzug ohne Tür, der ächzend und krächzend sich hochmühte und dabei immer an die Wände des Schachtes stieß, erzeugte bei mir einfach kein großes Zutrauen. Das Interieur, das wohl selbst meiner Großmutter in ihrer Jugend als veraltet erschienen wäre und auch sonst die beste Zeit hinter sich hatte, tat sein Übriges, um mich zu überzeugen, höflich, aber bestimmt wortlos und kopfschüttelnd die Wohnung zu verlassen. Gut, vielleicht war das nicht höflich, aber wenigstens bestimmt. 

Der einzige Lichtblick war die letzte Wohnung, die wenigstens ansatzweise geschmackvoll mit Möbeln aus den 80ern versehen war und dazu günstig. Nein, das ist nicht einmal ironisch gemeint. Nur war dies die Wohnung, bei der der Vermieter eine jemenitische Familie vorschützte, um mich zu einem schnellen Abschluss zu bewegen. Von daher lehnte ich ab, gerade auch weil ich mich nicht unter Druck setzen lassen wollte.


Potentielle Wohnung. Aktuell ohne Plastik um die Möbel.

Ein ägyptischer Freund vermittelte mir dann A., einen anderen Makler. Wie sich bei unserem Treffen herausstellte war der Makler eine Maklerin, eine junge, nicht unattraktive dazu. Die Wohnungen, die sie mir zeigte, zeigten direkt ein doch etwas höhere Qualität auf, lagen aber meist an etwas lauten Hauptstraßen. Auch hier war die letzte Wohnung die überzeugendeste - der aufmerksame Leser erkennt  ein Muster. Das Interieur versprühte den Charme einer Wohnung für verdiente Stasi-Offiziere. Und in der Tat posaunte hier vor fünfzig Jahren ein Kulturzentrum des kommunistischen Bruderstaates, der DDR, das Ideal des "Realexistierendem Sozialismus" in die arabische Welt. Als Zeugen dieses Projektes blieben einige Sessel, Tische und eine Couch zurück, fern der Heimat und doch bei bester Gesundheit. Da eine Treppe direkt auf eine großzügige und gemütliche Dachterasse führte, auf der man unter Wahrung von Corona-Sicherheitsabständen eine ganze Fußballmannschaft mit Auswechselspielern und Spielerfrauen beherbergen hätte können, konnte ich nicht Nein sagen. 

DDR-Wohnung mit Vermieter (links im Bild) und
Treppe zur Dachterasse (rechts im Bild).

Zwischendurch meldete sich wieder mein alter Vermieter und trat mit mir in Verhandlungen, so dass ich weiter hier in meiner alten Wohnung bleibe. Auf meinen Vorwurf, das Preis-Leistung-Verhältnis sei nicht akzeptabel, wollte er die Miete kürzen und dafür die Wohnung verkleinern, indem er ein Zimmer der Nachbarwohnung zuschlagen würde … was so ziemlich nichts an der Ausgangssituation geändert hätte. Auf meine Forderung, den Preis zu mindern und dafür mein drittes - liebevoll Wäsche-/Abstell-/Gästezimmer genanntes - Zimmer doch mal so zu gestalten, dass ich es nutzen könnte und dazu noch den Preis zu reduzieren, kam er erwartungsgemäß nicht nach. 

Also war klar, dass ich die DDR-Wohnung nehmen würde. 

Doch dann passierte etwas typisch Ägyptisches: Der betagte Vermieter und ich waren uns einig, nur der Vertrag musste noch unterschrieben werden und eine Anzahlung geleistet werden. Doch plötzlich wollte der Vermieter, dass ich neben der Kaution - eine Kaltmiete - auch noch drei Monatsmieten zahle. Was ich ablehnte. Hingegen wollte ich über den Vertrag noch einmal jemanden drüber lesen lassen. Was ihm nicht passte, da der Vertragsabschluss ihm nicht zu schnell ginge. Auch wollte er den Vertrag nur über ein-drei Monate laufen lassen, sollte ich aber vor den Sommerferien ausziehen, wollte er, dass ich mehr zahle, weil alles andere sei ja "unfair". Eine für mich nicht ganz nachvollziehbare Argumentation.

Lange Rede, kurzer Sinn: Auf einmal zog auch er potentiell andere Mieter aus dem Hut, dieses Mal waren es Franzosen, die dann auch tatsächlich noch am gleichen Abend den Zuschlag bekamen. Auf lange Sicht ist das sicher besser so, aber mein schon fast sichere Umzug löste sich damit in Luft auf. 

Am gleichen Abend traf ich mich dann mit meiner Maklerin, wir tranken ein wenig, lästerten über den Vermieter … und kamen uns etwas näher. Das war soweit auch ganz nett, aber beim nächsten Treffen, erschien sie mir irgendwie seltsam. Ich kann jetzt nicht sagen, ob sie sich in mich verguckt hat, aber die Art der Kommunikation veränderte sich radikal, irgendwie unangenehm dazu. Die eigentlich aufgeschlossen, selbstbewussten junge Frau verwandelte sich ein Püppchen, das keinen klaren Satz mehr herausbekam und mit verträumten Augen anstierte - für meinen Geschmack zu verträumt und zu lange. Danach bekam ich auch Nachrichten à la, sie würde mich vermissen und einen Tag später - da ich nicht sofort reagierte - Hassmails und einen sofortigen Kontaktabbruch. Dann die Drohung, sie würde mein Leben ruinieren, wenn ich jemandem von unserer Liason erzählte; anschließend erneut Abbruch des Kontaktes. Das war eine etwas überraschende Dynamik. So verlor ich nicht nur die Wohnung, sondern auch meine eigentlich kompetente Maklerin innerhalb weniger Tage. Sehr bitter. Andererseits zeigt es das doch etwas verquere Geschlechterverhältnis hier in dem Land. 

Gestern traf ich mich dann wieder mit meinem alten Makler. Alle Wohnungen waren im Bereicht von "danke, reicht" bis hin zu "naja". Aber er teilte mir mit, die Wohnung, die mich beim letzten Male interessiert hätte, wäre wieder zu haben. Mal schauen, ob es dieses Mal klappt.

Auf geht die nächste Runde Achterbahn fahren.

Und von der Schule und privaten Unternehmungen habe ich ja noch gar nicht angefangen.

Freitag, 11. September 2020

In Ägypten wenig Neues: Schulstart, Haribo und Wohnungssuche

"Kurzes" Statusupdate zur Vermeidung meiner eigentlich so beliebten langen Sprachnachrichten: Wer sich für den Schulkram nicht interessiert kann auch direkt zum nächsten Abschnitt springen.

Zur Schule

Das Schuljahr ist kaum zwei Wochen alt, schon fast freue ich mich auf die Ferien, da das Schuljahr mit einem mordsmäßigem Tempo beginnt. Die Schüler gewöhnen wir gerade noch in die neuen Unterrichtsformen ein - wir haben nämlich methodisch etwas aufgerüstet -, aber schon stehen die Klassenarbeiten vor der Tür. Pädagogisch ist das nur bedingt sinnvoll, aber ich denke, es geht vor allem darum, stichfeste Noten zu bekommen. Wie sich das Schuljahr entwickeln wird, weiß ja keiner, und von daher - so meine vermutete Denkweise - möchte man eine Notenbasis schaffen, die auch gerichtsfest ist. Das ist halt auch Schule im 21. Jahrhundert. Durch häufige Einsprüche gegen Noten - von denen sicher einige auch berechtigt sind - wird so etwas leider notwendig, auch wenn der Pädagoge in mir das eher kritisch sieht. 

Bis jetzt fand der Unterricht durchgehend online statt, aber kommenden Dienstag wird immer ein Teil der Schüler in Klassenstärke in der Schule unterrichtet. Natürlich mit Hygienemaßnahmen und dem ganzen Trara. 

Obwohl mir letztes Jahr das Unterrichten von Zuhause überhaupt nicht zugesagt hat, finde ich es momentan gar nicht mehr soooo übel. So gibt es wieder Unterricht nach Stundenplan, ein Teil in Videokonferenzen, den  Rest sollen die Schüler selbst erarbeiten oder üben. Bei vielen Kollegen und auch bei mir setzt sich immer mehr das Konzept von kleinen Gruppen durch, in denen die Schüler per Videokonferenz gemeinsam an Aufgaben arbeiten. Wir benutzen Microsoft Teams und OneNote, was gut zusammenpasst. Selbst meine Fünftklässler kommen trotz kleinerer Probleme immer besser damit zurecht und es erleichtert mir das Arbeiten ungemein. Dazu habe ich selbst in den Ferien technisch aufgerüstet, und zwar mit einem Tablet und passendem elektronischem Stift. Damit kann ich einerseits Schülerarbeiten ganz praktisch korrigieren, andererseits nutze ich das als digitale Tafel. Grundsätzlich würde ich es noch gerne schaffen, dass die Schüler noch mehr miteinander arbeiten und ich mich in der Zeit ansprechbar im Hintergrund halte. Es fühlt sich an wie durchaus passende Schuhen, die aber noch eingelaufen werden müssen.

Von der Software sind wir dementsprechend recht gut aufgestellt, gerade weil es auch zwei Kollegen gab, die da sehr viel Arbeit reingesteckt haben. Das größte Problem ist in Ägypten aber die Internetverbindung. Über die sogenannte "Landline" ist eine Videokonferenz kaum möglich. Deswegen arbeite ich in der Regel von der Schule aus. Die erste Woche klappte das wunderbar, aber da haben diese Möglichkeit auch nur eine Handvoll Lehrer benutzt. Umso mehr Lehrer aber von der Schule aus unterrichten, wird das bald nicht mehr gut gehen. Bin gespannt, wie es dann weitergeht. Ständig nur mit einem Hotspot reinzugehen, kann es ja auch nicht sein …

Wohnungssuche und Co

Vermutlich werde ich aus meiner - eigentlich ganz schicken und gemütlichen - Wohnung ausziehen werde. Momentan sondiere ich noch den Wohnungsmarkt, hoffe aber in Zukunft ein-zwei hundert Euro sparen zu können, was auch die hauptsächliche Motivation für den Auszug ist. Andere Stadtteile und andere Wohnungen zu sehen, ist durchaus recht spannend. Der Ägypter an sich scheint mir meist eine andere Ästhetik zu haben als so der Deutsche an sich. Für mich wirken die Wohnungen oft aus der Zeit gefallen. Teilweise sind es Möbel, die ich dem Barock zuordnen und in einem Museum erwarten würde. Schräg … aber über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten. Küche und Bad sind oft zweckmäßig, nicht immer in gutem Zustand. Vorgestern wurde mir eine Wohnung gezeigt, die zwar top in Schuss war und eine sehr geräumige Dachterrasse besaß, aber die Sitzgelegenheiten für 20-30 Personen besaß. Vermutlich wenn die Großfamilie mal wieder zu Besuch ist. Das geht also - vorsichtig formuliert - an meinen Bedürfnissen vorbei. Innentüren in Aufzügen sind tendentiell eher optional. Gerade Wände auch. 

Grundsätzlich ist es ja ein beliebter Verkaufstrick, eine Ware, die man unbedingt verkaufen möchte, künstlich zu verknappen. Wir kennen alle den Spruch "nur solange der Vorrat reicht" oder auf Amazon "nur noch ein Stück auf Lager" - ganz unabhängig von der tatsächlichen Situation. Das funktioniert leider auch nur allzu gut, weswegen es ja ständig praktiziert wird.

 Bei Wohnungen werden dagegen immer andere Interessenten vorgeschützt. Gut, in Deutschland ist es ein Vermietermarkt, auf dem die Vermieter die Marktmacht haben und sich dementsprechend die Mieter (oder Käufer) aussuchen können. Hier ist es aber umgekehrt. Ganz beliebt als potentielle Mieter sind jemenitische Familien. Ich weiß jetzt nicht, ob das durch den dortigen Bürgerkrieg bedingt ist, aber diese sind bei den Ägyptern nicht sonderlich beliebt. Von einem "you have to decide until tomorrow" ging es mir aber ein wenig schnell über auf ein "you have to decide today". Und auch wenn die Wohnung echt schick ist und in einer guten Ecke liegt, will ich mich nicht unter Druck setzen lassen. Vor allem habe ich mich aber mich geärgert, dass dieser "Trick" tatsächlich erstmal fruchtete und ich mich davon habe anstecken lassen. Gut, vielleicht ist die Wohnung jetzt tatsächlich weg, aber dann kann ich immer noch sagen: "Mit mir macht ihr den Scheiß nicht, meine Freunde, mit mir nicht!" Das fühlt sich unglaublich gut an und ist mir - wenigstens bis zum Moment meines Auszuges aus der Wohnung - wichtiger als alles andere. 

Seit ich ein paar Ägypter kennengelernt habe, gefällt es mir schon deutlich besser. Jetzt lerne ich auch mal die Orte kennen, an denen man auch mal gut abhängen kann … oder einfach lecker essen kann. In den nächsten Tagen steht dann die Entscheidung an, ob ich hier verlängern soll oder nicht. Grundsätzlich hätte ich schon noch Lust auf ein Jahr oder zwei, aber momentan tendiere ich dazu, meine Zelte nach dem Jahr abzubrechen, um eine Stelle in Deutschland anzutreten … wenn ich eine passende finde. Ist mit meinen Fächern ja nicht immer ganz so einfach. 

Wegen meinen Schülern futtere ich in letzter Zeit unglaublich viel Haribo. Um sie zu animieren, mehr zu lesen, habe ich einen Lesewettbewerb ausgerufen, bei dem drei Sieger je eine Packung Haribo als Prämie erhalten. Um sie zu motivieren, habe ich die Preise bereits gekauft, um sie dann mal in die Kamera zu halten wie damals die RAF Hanns Martin Schleyer. Naja, und jetzt hofft ein kleiner Teil von mir, dass keiner der Schüler etwas liest, damit es bei der Preisverleihung nicht peinlich wird, wenn ich einfach morgens nochmal schnell in die Küche greife, um überhaupt etwas überreichen zu können. Ich sehe die enttäuschten Kinderaugen schon vor mir: "Aber Mentos hatten wir nicht abgesprochen, Herr Kafitz, erst recht nicht mit Minzgeschmack!" - "Was, Herr Kafitz, soll ich denn jetzt mit diesem Stück Parmesan machen?" - "Danke, Herr Kafitz, ich habe mir schon immer mal eine halbvolle Packung Kaffeepulver gewünscht!"

Ach was, ich treibe doch nur Schabernack! Alles nur Spaß! Niemals würde ich mein Kaffeepulver und den Parmesan freiwillig herausrücken. Dann doch lieber blamieren. Oder morgen mal nen Tag ohne Bauchschmerzen einlegen. 

Freitag, 4. September 2020

Rückblick: Mein erstes Jahr in Ägypten

 Wer den Blog mit seinen 2,5 Artikeln pro Jahr aufmerksam liest, bemerkte zu Beginn des Septembers 2019, dass der erneut aufkeimende Strom an regelmäßigen Blogbeiträgen wieder versiegte. Der Grund meines Nichtschreibens lag nicht daran, dass es nichts zu schreiben gab - im Gegenteil! Doch die Arbeit an der Schule überwältigte mich dann doch gerade im ersten Halbjahr, so dass ich oft keine Mußestunde fand, um mich wirklich hinzusetzen und meine Gedanken und Gefühle auf das digitale Papier zu ergießen. Im Nachgang betrachtet wäre das Schreiben aber nicht nur eine gute Methode gewesen, um den überquellenden Stress auch wieder abzubauen, nein, auch bedauere ich, die Entwicklung meiner Beziehung zum Land nicht genauer dokumentiert zu haben. So bleibt mir momentan nur noch meine teils wache, teils verschwommene Erinnerung an das letzte Jahr. Hiermit gelobe ich Besserung! … wie bei jedem Beitrag, der meinen Blog aus der tiefsten Versenkung heben möchte. Mal wieder. 

Wenn ich das vergangene Jahr  dem ungeduldigen Leser zeigen möchte, der vermutlich nur zufällig hier hereinstolperte und bereits auf dem Sprung  zu einer Verabredung ist, und mit einem "nur ganz kurz" diese Zeilen überfliegen möchte, so muss ich mich deutlich kürzer fassen, als es dem Jahr und meiner persönlichen Veranlagung zu verbalen Ausschweifungen gerecht wird. In dieser groben Skizze liegt aber sicher auch eine Chance, ein Mosaik aus den Steinen der Einzelerfahrungen zusammenzufügen und die einzelnen Steine dann später, sofern ich es schaffe, meinen Schreibimpuls in eine regelmäßige Gewohnheit zu gießen, später noch einmal in die Hand zu nehmen, um sie genauer zu betrachten. Inshallah - so Gott will - würde der Ägypter dazu sagen.

Das vergangene Jahr würde ich grob in unterschiedliche Phasen einteilen. Die Anfangseuphorie in den ersten sechs bis acht Wochen ging in die Phase der ersten Frustrationen über die Herausforderungen an Schule und kulturell fremder Umwelt über. Spätestens ab Dezember nahm mich die Schule mit Korrekturen völlig ein, ich war alleine dadurch völlig gestresst und unleidlich, mir selbst und meinem Umfeld gegenüber, und erst als die Halbjahreszeugnisse ausgedruckt, gestempelt, unterschrieben und ausgeteilt wurden, entspannten sich meine Nerven. Die anschließende Phase war geprägt von Ausflügen innerhalb Kairos und ins Umfeld mit seinen Bazaren, Moscheen, Pyramiden; allgemein eine Phase der Entdeckungen mit dem Gefühl in diesem doch sehr fremden Land die ersten Hürden erfolgreich überwunden zu haben. Gerade wenn ich auf diese Phase zurückblicke, bin ich unglaublich froh und dankbar so viel unternommen zu haben, denn danach - der geneigte Leser hat es vielleicht aus den Nachrichten erfahren - führte eine Pandemie dazu, dass der gesamten Welt der Stecker gezogen wurde. Angst und Einsamkeit prägten die kommenden Wochen. Angst vor einer Ansteckung, vor einer kollabierenden Gesellschaftsordnung, vor der Zombieapokalypse. Auch wenn ich als Alleinstehender Einsamkeit gewohnt bin, war diese Einsamkeit heftig. Kairo als Stadt ist bereits in pandemiefreiem Zustand ein Seelenfresser. Sofern ich es mir zeitlich leisten konnte, fühlte ich mich zum Schutz meiner mentalen Gesundheit verpflichtet wenigstens einmal monatlich diesem Moloch zu entfliehen. Einen "Lockdown" wie in westlichen Staaten gab es zwar nicht … aber mehr oder weniger ein halbes Jahr am Stück - von Tagesausflügen abgesehen - in dieser Stadt zu leben, in meinem hässlichen, verdreckten und vermülltem Viertel, ohne zu wissen wie es weitergeht, ohne Freunde und Familie, war: hart. 

Ab Ende Mai begann dann die Endphase des ersten Schuljahres unter ungewöhnlichen Bedingungen. Durch einen Ausflug nach Siwa entspannte ich mich ein wenig. In mir drängte sich nur der Wunsch in den Vordergrund, das Schuljahr nur noch halbwegs ordentlich zu beenden. Irgendwie beenden, morgens irgendwann aufzustehen, und irgendwie noch die Zeugnisse austeilen. Aushalten, durchhalten war die Devise. Der sich immer weiter nähernde Fixpunkt mit der Zeugnisausgabe half  dabei die Moral etwas über Wasser zu halten. Besonders stolz bin ich dann auf meinen frisch erworbenen Tauchschein, den ich unter nicht ganz legalen Bedingungen am Roten Meer noch machen konnte, bevor ich Anfang Juli, in nicht geringem Maße erleichtert, nach Deutschland zurückflog.

Mein erstes Jahr als Lehrer in der größten Stadt Afrikas während der größten Pandemie seit 1920 hatte ich damit überstanden.