Freitag, 7. Mai 2021

Der raue Wind von Sonne und Sand

Vor ein paar Tagen starb ein Mitarbeiter der Schule. Im Vergleich zu einer Schule in Deutschland ist unser Mitarbeiterstab deutlich größer und besteht unter anderem aus Reinigungskräften, Busfahrern, technischen Mitarbeitern. Unsere Mitarbeiter sind in der Regel nicht alt. So auch hier.

In Ägypten weht der Wind rauer, stets mit dem Sand der Wüste, schleift er die Farben von Hausfassaden ab, durchdringt Hauswände und belegt die Lungen der Bewohner; die Sonne brennt auf die Köpfe der Bewohner, die erschöpft aufstöhnen, trotz moderner Gegenmittel wie Ventilatoren oder Klimaanlagen. 

Dieser raue Wind von Sonne und Sand bringt häufiger den Tod als in Deutschland. Viele meiner gleichaltrigen ägyptischen Freunde haben wenigstens einen Elternteil verloren. Mit 65 zu sterben ist absolut üblich, da wird die angegebene Todesursache nicht hinterfragt. In Deutschland kenne ich vielleicht zwei Leute in meinem Alter, die einen Elternteil verloren haben.

Ein Kollege, kaum fünf Jahre hier, kann sich an insgesamt drei Schüler erinnern, die während seiner Zeit gestorben sind. Einer starb im Bad, ein anderer wurde von Straßenhunden in eine Baustelle gehetzt, wo er in eine Grube fiel. Diese Liste wird durch einen Kollegen und weitere Mitarbeiter noch vergrößert.

Der raue Wind von Sand und Sonne bringt nicht nur häufiger den Tod, sondern auch Erschwernisse für die Lebenden. Ein paar Beispiele:

Menschen mit unbehandelten Klumpfüßen. Gibt es so etwas in Deutschland noch? 

Kinder, die sich auf mich stürzen wie Tauben auf ein Stück Brot, um in den Ruinen von Luxor West um Geld zu betteln.

Ein Mann bettelt an einer Abfahrt der Stadtautobahn; dabei sitzt er auf seinem Rump; wo mal seine Beine waren, sind nicht einmal die Stümpfe übriggeblieben.

Ein Mann bettelt mich an. Er sei Ingenieur gewesen und aus dem dritten Stock gefallen. Tränen in den Augen sowie der fehlende linke Unterarm verscheuchen jeden Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussage. 

Ein Mann ohne Arme bettelt zwischen Autos, die im Stau stehen. Selbst wenn ich ihm etwas geben wollte: Wie kann ich es ihm geben? 

Obdachlose gibt es auch in Deutschland. Aber keine Kinder. Manchmal noch Säuglinge mit ihrer Mutter, manchmal kaum vier oder fünf Jahre alt, die dürren Körper lassen die Augen noch größer erscheinen, zerrissene Kleider, der halbe Kopf kahlgefressen von Unterernährung oder einer unbehandelten Krankheit. Dabei schlafen sie oft unter einer Brücke. Nicht, um sich vor dem Regen zu schützen, sondern vor der Sonne. 

Ach ja, die Sonne. Sie brennt gerade wieder heftig auf das Land. Dabei ist Ramadan und die Menschen fasten, sie dürfen also während des Tages kein Wasser trinken. Natürlich gibt es Ausnahmen für Kranke und Schwangere. Aber die Kombination von Sonne und Fasten führt zu vermehrten Todesfällen unter älteren Menschen. 

Heute Nacht ist - ganz ohne Fasten - ein Kollege gestorben. 

Und so weht er wieder, der raue Wind von Sonne und Sand. 

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