Freitag, 11. September 2020

In Ägypten wenig Neues: Schulstart, Haribo und Wohnungssuche

"Kurzes" Statusupdate zur Vermeidung meiner eigentlich so beliebten langen Sprachnachrichten: Wer sich für den Schulkram nicht interessiert kann auch direkt zum nächsten Abschnitt springen.

Zur Schule

Das Schuljahr ist kaum zwei Wochen alt, schon fast freue ich mich auf die Ferien, da das Schuljahr mit einem mordsmäßigem Tempo beginnt. Die Schüler gewöhnen wir gerade noch in die neuen Unterrichtsformen ein - wir haben nämlich methodisch etwas aufgerüstet -, aber schon stehen die Klassenarbeiten vor der Tür. Pädagogisch ist das nur bedingt sinnvoll, aber ich denke, es geht vor allem darum, stichfeste Noten zu bekommen. Wie sich das Schuljahr entwickeln wird, weiß ja keiner, und von daher - so meine vermutete Denkweise - möchte man eine Notenbasis schaffen, die auch gerichtsfest ist. Das ist halt auch Schule im 21. Jahrhundert. Durch häufige Einsprüche gegen Noten - von denen sicher einige auch berechtigt sind - wird so etwas leider notwendig, auch wenn der Pädagoge in mir das eher kritisch sieht. 

Bis jetzt fand der Unterricht durchgehend online statt, aber kommenden Dienstag wird immer ein Teil der Schüler in Klassenstärke in der Schule unterrichtet. Natürlich mit Hygienemaßnahmen und dem ganzen Trara. 

Obwohl mir letztes Jahr das Unterrichten von Zuhause überhaupt nicht zugesagt hat, finde ich es momentan gar nicht mehr soooo übel. So gibt es wieder Unterricht nach Stundenplan, ein Teil in Videokonferenzen, den  Rest sollen die Schüler selbst erarbeiten oder üben. Bei vielen Kollegen und auch bei mir setzt sich immer mehr das Konzept von kleinen Gruppen durch, in denen die Schüler per Videokonferenz gemeinsam an Aufgaben arbeiten. Wir benutzen Microsoft Teams und OneNote, was gut zusammenpasst. Selbst meine Fünftklässler kommen trotz kleinerer Probleme immer besser damit zurecht und es erleichtert mir das Arbeiten ungemein. Dazu habe ich selbst in den Ferien technisch aufgerüstet, und zwar mit einem Tablet und passendem elektronischem Stift. Damit kann ich einerseits Schülerarbeiten ganz praktisch korrigieren, andererseits nutze ich das als digitale Tafel. Grundsätzlich würde ich es noch gerne schaffen, dass die Schüler noch mehr miteinander arbeiten und ich mich in der Zeit ansprechbar im Hintergrund halte. Es fühlt sich an wie durchaus passende Schuhen, die aber noch eingelaufen werden müssen.

Von der Software sind wir dementsprechend recht gut aufgestellt, gerade weil es auch zwei Kollegen gab, die da sehr viel Arbeit reingesteckt haben. Das größte Problem ist in Ägypten aber die Internetverbindung. Über die sogenannte "Landline" ist eine Videokonferenz kaum möglich. Deswegen arbeite ich in der Regel von der Schule aus. Die erste Woche klappte das wunderbar, aber da haben diese Möglichkeit auch nur eine Handvoll Lehrer benutzt. Umso mehr Lehrer aber von der Schule aus unterrichten, wird das bald nicht mehr gut gehen. Bin gespannt, wie es dann weitergeht. Ständig nur mit einem Hotspot reinzugehen, kann es ja auch nicht sein …

Wohnungssuche und Co

Vermutlich werde ich aus meiner - eigentlich ganz schicken und gemütlichen - Wohnung ausziehen werde. Momentan sondiere ich noch den Wohnungsmarkt, hoffe aber in Zukunft ein-zwei hundert Euro sparen zu können, was auch die hauptsächliche Motivation für den Auszug ist. Andere Stadtteile und andere Wohnungen zu sehen, ist durchaus recht spannend. Der Ägypter an sich scheint mir meist eine andere Ästhetik zu haben als so der Deutsche an sich. Für mich wirken die Wohnungen oft aus der Zeit gefallen. Teilweise sind es Möbel, die ich dem Barock zuordnen und in einem Museum erwarten würde. Schräg … aber über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten. Küche und Bad sind oft zweckmäßig, nicht immer in gutem Zustand. Vorgestern wurde mir eine Wohnung gezeigt, die zwar top in Schuss war und eine sehr geräumige Dachterrasse besaß, aber die Sitzgelegenheiten für 20-30 Personen besaß. Vermutlich wenn die Großfamilie mal wieder zu Besuch ist. Das geht also - vorsichtig formuliert - an meinen Bedürfnissen vorbei. Innentüren in Aufzügen sind tendentiell eher optional. Gerade Wände auch. 

Grundsätzlich ist es ja ein beliebter Verkaufstrick, eine Ware, die man unbedingt verkaufen möchte, künstlich zu verknappen. Wir kennen alle den Spruch "nur solange der Vorrat reicht" oder auf Amazon "nur noch ein Stück auf Lager" - ganz unabhängig von der tatsächlichen Situation. Das funktioniert leider auch nur allzu gut, weswegen es ja ständig praktiziert wird.

 Bei Wohnungen werden dagegen immer andere Interessenten vorgeschützt. Gut, in Deutschland ist es ein Vermietermarkt, auf dem die Vermieter die Marktmacht haben und sich dementsprechend die Mieter (oder Käufer) aussuchen können. Hier ist es aber umgekehrt. Ganz beliebt als potentielle Mieter sind jemenitische Familien. Ich weiß jetzt nicht, ob das durch den dortigen Bürgerkrieg bedingt ist, aber diese sind bei den Ägyptern nicht sonderlich beliebt. Von einem "you have to decide until tomorrow" ging es mir aber ein wenig schnell über auf ein "you have to decide today". Und auch wenn die Wohnung echt schick ist und in einer guten Ecke liegt, will ich mich nicht unter Druck setzen lassen. Vor allem habe ich mich aber mich geärgert, dass dieser "Trick" tatsächlich erstmal fruchtete und ich mich davon habe anstecken lassen. Gut, vielleicht ist die Wohnung jetzt tatsächlich weg, aber dann kann ich immer noch sagen: "Mit mir macht ihr den Scheiß nicht, meine Freunde, mit mir nicht!" Das fühlt sich unglaublich gut an und ist mir - wenigstens bis zum Moment meines Auszuges aus der Wohnung - wichtiger als alles andere. 

Seit ich ein paar Ägypter kennengelernt habe, gefällt es mir schon deutlich besser. Jetzt lerne ich auch mal die Orte kennen, an denen man auch mal gut abhängen kann … oder einfach lecker essen kann. In den nächsten Tagen steht dann die Entscheidung an, ob ich hier verlängern soll oder nicht. Grundsätzlich hätte ich schon noch Lust auf ein Jahr oder zwei, aber momentan tendiere ich dazu, meine Zelte nach dem Jahr abzubrechen, um eine Stelle in Deutschland anzutreten … wenn ich eine passende finde. Ist mit meinen Fächern ja nicht immer ganz so einfach. 

Wegen meinen Schülern futtere ich in letzter Zeit unglaublich viel Haribo. Um sie zu animieren, mehr zu lesen, habe ich einen Lesewettbewerb ausgerufen, bei dem drei Sieger je eine Packung Haribo als Prämie erhalten. Um sie zu motivieren, habe ich die Preise bereits gekauft, um sie dann mal in die Kamera zu halten wie damals die RAF Hanns Martin Schleyer. Naja, und jetzt hofft ein kleiner Teil von mir, dass keiner der Schüler etwas liest, damit es bei der Preisverleihung nicht peinlich wird, wenn ich einfach morgens nochmal schnell in die Küche greife, um überhaupt etwas überreichen zu können. Ich sehe die enttäuschten Kinderaugen schon vor mir: "Aber Mentos hatten wir nicht abgesprochen, Herr Kafitz, erst recht nicht mit Minzgeschmack!" - "Was, Herr Kafitz, soll ich denn jetzt mit diesem Stück Parmesan machen?" - "Danke, Herr Kafitz, ich habe mir schon immer mal eine halbvolle Packung Kaffeepulver gewünscht!"

Ach was, ich treibe doch nur Schabernack! Alles nur Spaß! Niemals würde ich mein Kaffeepulver und den Parmesan freiwillig herausrücken. Dann doch lieber blamieren. Oder morgen mal nen Tag ohne Bauchschmerzen einlegen. 

Freitag, 4. September 2020

Rückblick: Mein erstes Jahr in Ägypten

 Wer den Blog mit seinen 2,5 Artikeln pro Jahr aufmerksam liest, bemerkte zu Beginn des Septembers 2019, dass der erneut aufkeimende Strom an regelmäßigen Blogbeiträgen wieder versiegte. Der Grund meines Nichtschreibens lag nicht daran, dass es nichts zu schreiben gab - im Gegenteil! Doch die Arbeit an der Schule überwältigte mich dann doch gerade im ersten Halbjahr, so dass ich oft keine Mußestunde fand, um mich wirklich hinzusetzen und meine Gedanken und Gefühle auf das digitale Papier zu ergießen. Im Nachgang betrachtet wäre das Schreiben aber nicht nur eine gute Methode gewesen, um den überquellenden Stress auch wieder abzubauen, nein, auch bedauere ich, die Entwicklung meiner Beziehung zum Land nicht genauer dokumentiert zu haben. So bleibt mir momentan nur noch meine teils wache, teils verschwommene Erinnerung an das letzte Jahr. Hiermit gelobe ich Besserung! … wie bei jedem Beitrag, der meinen Blog aus der tiefsten Versenkung heben möchte. Mal wieder. 

Wenn ich das vergangene Jahr  dem ungeduldigen Leser zeigen möchte, der vermutlich nur zufällig hier hereinstolperte und bereits auf dem Sprung  zu einer Verabredung ist, und mit einem "nur ganz kurz" diese Zeilen überfliegen möchte, so muss ich mich deutlich kürzer fassen, als es dem Jahr und meiner persönlichen Veranlagung zu verbalen Ausschweifungen gerecht wird. In dieser groben Skizze liegt aber sicher auch eine Chance, ein Mosaik aus den Steinen der Einzelerfahrungen zusammenzufügen und die einzelnen Steine dann später, sofern ich es schaffe, meinen Schreibimpuls in eine regelmäßige Gewohnheit zu gießen, später noch einmal in die Hand zu nehmen, um sie genauer zu betrachten. Inshallah - so Gott will - würde der Ägypter dazu sagen.

Das vergangene Jahr würde ich grob in unterschiedliche Phasen einteilen. Die Anfangseuphorie in den ersten sechs bis acht Wochen ging in die Phase der ersten Frustrationen über die Herausforderungen an Schule und kulturell fremder Umwelt über. Spätestens ab Dezember nahm mich die Schule mit Korrekturen völlig ein, ich war alleine dadurch völlig gestresst und unleidlich, mir selbst und meinem Umfeld gegenüber, und erst als die Halbjahreszeugnisse ausgedruckt, gestempelt, unterschrieben und ausgeteilt wurden, entspannten sich meine Nerven. Die anschließende Phase war geprägt von Ausflügen innerhalb Kairos und ins Umfeld mit seinen Bazaren, Moscheen, Pyramiden; allgemein eine Phase der Entdeckungen mit dem Gefühl in diesem doch sehr fremden Land die ersten Hürden erfolgreich überwunden zu haben. Gerade wenn ich auf diese Phase zurückblicke, bin ich unglaublich froh und dankbar so viel unternommen zu haben, denn danach - der geneigte Leser hat es vielleicht aus den Nachrichten erfahren - führte eine Pandemie dazu, dass der gesamten Welt der Stecker gezogen wurde. Angst und Einsamkeit prägten die kommenden Wochen. Angst vor einer Ansteckung, vor einer kollabierenden Gesellschaftsordnung, vor der Zombieapokalypse. Auch wenn ich als Alleinstehender Einsamkeit gewohnt bin, war diese Einsamkeit heftig. Kairo als Stadt ist bereits in pandemiefreiem Zustand ein Seelenfresser. Sofern ich es mir zeitlich leisten konnte, fühlte ich mich zum Schutz meiner mentalen Gesundheit verpflichtet wenigstens einmal monatlich diesem Moloch zu entfliehen. Einen "Lockdown" wie in westlichen Staaten gab es zwar nicht … aber mehr oder weniger ein halbes Jahr am Stück - von Tagesausflügen abgesehen - in dieser Stadt zu leben, in meinem hässlichen, verdreckten und vermülltem Viertel, ohne zu wissen wie es weitergeht, ohne Freunde und Familie, war: hart. 

Ab Ende Mai begann dann die Endphase des ersten Schuljahres unter ungewöhnlichen Bedingungen. Durch einen Ausflug nach Siwa entspannte ich mich ein wenig. In mir drängte sich nur der Wunsch in den Vordergrund, das Schuljahr nur noch halbwegs ordentlich zu beenden. Irgendwie beenden, morgens irgendwann aufzustehen, und irgendwie noch die Zeugnisse austeilen. Aushalten, durchhalten war die Devise. Der sich immer weiter nähernde Fixpunkt mit der Zeugnisausgabe half  dabei die Moral etwas über Wasser zu halten. Besonders stolz bin ich dann auf meinen frisch erworbenen Tauchschein, den ich unter nicht ganz legalen Bedingungen am Roten Meer noch machen konnte, bevor ich Anfang Juli, in nicht geringem Maße erleichtert, nach Deutschland zurückflog.

Mein erstes Jahr als Lehrer in der größten Stadt Afrikas während der größten Pandemie seit 1920 hatte ich damit überstanden.