Freitag, 28. Mai 2021

Besuch im Impfkrankenhaus

Gestern war ich im Krankenhaus, um mich impfen zu lassen. Angemeldet hatte ich mich über die staatliche Website des Gesundheitsministeriums. Den Termin erhielt ich vorher per SMS, den ich innerhalb dreier Tage wahrnehmen hätte können. Verimpft werden hier Sinopharm, in Indien hergestelltes AstraZeneca und demnächst soll Sputnik V selbst im Land produziert werden. Aller Voraussicht nach hätte ich wohl AstraZeneca bekommen.

 Das Krankenhaus selbst lag in einem Arbeiterviertel. Dementsprechend waren die hygienischen Standards nach deutschen Standards nicht so gut, wie es mir von anderen Krankenhäusern berichtet wurde. Mit etwa 50-60 Personen saß man enggedrängt in einem Innenhof, der durchaus gut belüftet war. Die Organisation schien mir aber durchaus angemessen und gut funktionierend, auch wenn ich natürlich immer mal wieder Hilfe von Umstehenden bei der Übersetzung benötigte. Insgesamt fand ich das Konzept in Ordnung, schließlich sind wir ja auch in Ägypten, aber die kleine Warteschlange im kleinen Flur am Ende der Prozedur hätte wohl nicht unbedingt sein müssen.

Insgesamt fand ich es spannend, mal zu sehen, wie das hier abläuft. Abgesehen davon, war der Trip aber recht erfolglos, da sie mir eine Spritze verweigert haben. Mit gutem Grund allerdings, ich hatte ja erst Mitte März meine Covid-Infektion. Für mich wollte ich das jetzt einfach hinter mich bringen und habe es dementsprechend einfach mal versucht. Ich denke aber, dass es für das Personal spricht, dass sie das ernst nehmen. 

Überrascht hat mich, dass wirklich viele Leute da waren, da ich ja schon häufiger von einer niedrigen Impfbereitschaft hörte. Aber klar, ein Besuch in einem lokalen Krankenhaus in einem Stadtteil mit sehr hohen Bevölkerungsdichte wird wohl die Wahrnehmung hier ein wenig verzerren. Positiv hervorzuheben ist, dass es hier anscheinend auch voran geht. Aber leider nur langsam.

Laut offiziellen Zahlen haben aber erst zwei Millionen eine Erstimpfung erhalten, das ist knapp ein Fünfzigstel der Bevölkerung. Andererseits müssen es hier schon so viele gehabt haben, dass die Herdenimmunität auch so hoffentlich bald erreicht wird.

Dienstag, 25. Mai 2021

Abkühlung

Seit ein paar Tagen schon ist es deutlich kühler geworden. Endlich nur noch 33-36 Grad. Da können manche Menschen auch ohne Klimaanlage wieder normal arbeiten; ich leider brauche sie leider. Aber es ist definitiv wieder erträglich. Jetzt kann ich verstehen, warum im Sommer sämtliche Bauarbeiten, auch nachts, hier eingestellt werden. 

Donnerstag, 13. Mai 2021

Kulinarisches (I): Koshary

Koshary ist ein traditionelles ägyptisches Gericht, das meist in Läden verkauft wird, die sonst nichts anderes anbieten. 
Eine Portion Koshary macht satt. Quelle: https://www.flickr.com/photos/h-bomb/4356577541

Grundsätzlich besteht es aus Nudeln, anderen Nuden, Linsen, Kichererbsen und oft noch Reis. Dazu gibt es eine Tomatensuace („Salsa“) und Röstzwiebeln; nach Wunsch noch Knoblauchöl oder eine scharfe Sauce, die eine Belastungsprobe für innere Organe ist. Insgesamt ist es also eine Kohlenhydratsbombe mit ein paar Ballaststoffen. 

Koshary ist DAS Arme-Leute-Essen schlechthin. Verkauft wird Koshary meist in Läden, die sonst nichts anbieten, außer vielleicht einen Salat und Getränke. Für kaum 50-70 Cent bekomme ich eine Portion, die für Stunden sättigt, selbst wenn ich nicht alles packe.

Ab und an kann ich mir eine Portion gerne mal gönnen, es ist auch wirklich essbar, aber so richtig lecker, im Sinne von „Heute habe ich mal wieder richtig Lust auf Koshary“, finde ich es dann auch nicht. 

 

Dienstag, 11. Mai 2021

"Was kannst du eigentlich?"

Da ich damit bald zwei Jahre hier gelebt haben werde, drängt sich doch dem ein oder anderen Leser folgende Frage auf: "Nun sag, wie hast du’s mit der Sprache? / Du bist ein herzlich guter Mann, / Allein ich glaub, du kannst nicht viel davon." Es überwältigt mich mit Scham, so tückische Leser zu haben, die hier Wissensdurst vortäuschen, nur um mich und meine wunden Punkte in die Öffentlichkeit zu zerren, um sie dort dem Gelächter der Menschheit auszusetzen.

Nein, nicht Du, der diese Zeilen gerade jetzt liest, Du bist ehrlich, gesittet, wohlerzogen, kurz: langweilig und reizlos und von daher ein Leser, wie man ihn sich nur wünschen kann. Nein, du belästigst mich ja auch nicht mit solch impertinenten Fragen nach meinen Sprachkenntnissen, eine solche Frechheit erlaubt deine Erziehung ja auch gar nicht; diesen anderen Lesern dagegen wünsche ich, dass sie alle ihren Hausschlüssel verlegen und mindestens zehn Minuten verzweifelt danach suchen, ja, vielleicht sogar elf Minuten lang, während sie es eigentlich völlig eilig haben! Das soll ihnen mal eine Lehre sein, dass man nicht im Privatleben anderer Menschen herumschnüffelt! 

In der Tat berührt mich das Thema ein wenig unangenehm. Mein ursprünglicher Plan war es, innerhalb von wenigen Wochen die Sprache so gut zu beherrschen, dass ich mich vorstellen kann und in einfachen Situationen meine Wünsche ausdrücken kann, also im Taxi, Restaurant und so weiter. Das entspräche ungefähr Niveau A1. Anschließend hätte ich im folgenden halben Jahr Niveau A2 erreicht und im zweiten Schuljahr wenigstens B1 erreicht, womit ich schon durchaus komplexere Gespräche hätte führen können. Und spätestens in meinem dritten Jahr wäre ich - meiner Vorstellung nach - von einem Muttersprachler nicht mehr zu unterscheiden gewesen. Und wie so oft gilt: Der Mensch macht Pläne, und Gott lacht. 

Optisch ist der gute Mann nicht mehr von
einem Ägypter zu unterscheiden.
Aber was passiert, wenn er den Mund aufmacht?
 (Foto aus asch-Schalatin)

Zu meiner Verteidigung kann ich aber zwei limitierende Faktoren vorbringen, die ich in meiner ursprünglichen Rechnung nicht einkalkuliert hatte: Fehlende Sprechsituationen sowie Zeit und Kraft.

Insgesamt gibt es gar nicht so viele Situationen, in denen ich Ägyptisch-Arabisch unbedingt brauche. In der Schule spreche ich Deutsch, mit den Eltern auf Deutsch oder Englisch, mit ägyptischen Freunden auch eher Englisch. Von daher sind die natürlichen Sprechsituationen bereits durch die Rahmenbedingungen limitiert. (In Frankreich hatte ich dagegen ein viel intensiveres Sprachbad, aber eben auch mehr Zeit, die Sprache zu lernen.)

Die Zeit und Kraft war der nächste limitierende Faktor. Im ersten halben Jahr lag ich abends immer platt auf der Couch, geschafft von Schule und dem neuen Umfeld, unwillentlich noch irgendeinen Finger zu rühren, geschweige denn einen Finger zu rühren. Und obwohl ich zweimal pro Woche Arabischstunden hatte, ging der Fortschritt nur mäßig weiter. 

Meinen Lehrer, Mahmoud, sympathischer Typ Anfang vierzig, verheiratet, drei Kinder, verführte ich auch häufig zu Gesprächen über Gesellschaft und Kultur, einerseits, weil es mich wirklich interessierte und interessiert, aber auch - wohl eher unbewusst -, um dieses schrecklich anstrengende Lernen ein wenig hinauszuzögern. Trotz meiner Schüchternheit gelang es mir, ihn ganze Stunden lang in ein Gespräch zu verwickeln. Klar, dabei habe ich auch viel gelernt, aber eben nicht das, wofür ich ihn eigentlich bezahlte. In der Hinsicht war es eine bereichernde Erfahrung, mal wieder die Schulbank zu drücken, um sich in die Rolle eines Schülers zu begeben, der grundsätzlich etwas lernen möchte, nur eben nicht jetzt. Auch war und ist es eine interessante Erfahrung mithilfe einer Fremdsprache, Englisch, eine weitere Fremdsprache, Ägyptisch-Arabisch, zu lernen. Insgesamt gelingt uns das aber ganz gut.

Mein Arabisch liegt folglich deutlich unter meinen ursprünglichen Erwartungen. In alltäglichen Situationen - Taxi, Restaurant, Supermarkt - kann ich mich durchaus mitteilen, sofern nicht etwas Ungewöhnliches auftritt. Langsam bin ich dabei, die Verben von Gegenwart und Zukunft zu lernen, so dass es mir immer häufiger möglich wird, auch korrekte und ganze Sätze zu bilden. Oft ist mein Vokabular dafür noch zu klein. Es geht also voran, aber in Trippelschritten. Wenn ich es jetzt noch schaffe Vokabeln zu lernen, na dann bin ich nicht mehr aufzuhalten. 

Montag, 10. Mai 2021

Es ist heiß

 Seit Tagen haben wir 40 Grad oder mehr. Gestern war es dazu durchgehend bewölkt - bei einer Regenwahrscheinlichkeit bekam mein Handy sogar drei kleine Regentropfen ab -, es war dementsprechend stickig. Trotz Klimaanlage schwitzt man nahezu ständig, es ist anstrengend und zieht viel Energie. Jetzt kannst du als deutscher Leser vielleicht einwenden und sagen: "Bevor du dich für Ägypten entschieden hast, war es dir da nicht bewusst, dass es in ariden Wüstenländern tendenziell eher warm bis furchtbar heiß wird? Hier in Deutschland war es die letzten Wochen kalt und verregnet, es gibt also gar keinen Grund dich zu beschweren." 

Also ehrlich, Klugscheißer mag niemand. Gut, das ist auch ein Grund, weswegen ich kaum Freunde habe und wenn nur für Geld. Jedenfalls gibt eine gewisse Schwelle, in der mehr Sonne und Wärme angenehm ist, ab einem bestimmten Zeitpunkt kippt es wieder. Ok, ich merke schon, meine Gedankenergüsse voller Weisheit ergötzen gerade niemanden. Was soll ich sagen?

Es ist halt einfach heiß. 

Sonntag, 9. Mai 2021

Kleiner Blick in den Abgrund: Corona-Prognose für Ägypten

 Die Seite covid19.healthdata.org/ ist eine Seite des US-amerikanischen Institute for Health Metrics der Universität Washington (der Bundesstaat, nicht die die Stadt). Dort wird versucht, die offiziellen Daten zu Infektionen und Todeszahlen mit realistischeren Berechnungen zu vergleichen. Ebenso werden Projektionen erstellt, was vermutlich passieren wird, dazu im schlechtesten Fall und im besten Fall bei einer Maskennutzung von 95%. Die Methodik habe ich nicht ganz durchschaut, insgesamt wirkt die Seite seriös, aber vermutlich kann auch dieses eine Modell nicht alles abdecken bzw. vorhersagen. Das Modell geht meines Erachtens davon aus, dass die Dunkelziffer unter Corona-Toten recht hoch ist, aber eben abhängig vom Land. Andererseits haben sie mit einberechnet, wenn Menschen wohl ungerechtfertigterweise diesen Toten zugerechnet wurden und haben sie herausberechnet. 

Weltweit gebe es hier also 6,8 Millionen Tote statt der gemeldeten 3,2 Millionen (1. Mai 2021), insgesamt werden bis zum 1. September 9,4 Millionen vorhergesagt. Die Zahl der tatsächlichen Coronatoten wird für Deutschland hier mit knapp 120 000 Toten angegeben, allerdings kommen bis September "nur" noch 16 000 hinzu. Das Schlimmste scheint dort überstanden zu sein.

Projektion Coronatote in Deutschland. Die projizierte Line (violett) bewegt sich dabei zwischen "worst case" und bestem Falle, wenn alle Menschen eine Maske trügen.

Für Ägypten sieht die Situation insgesamt etwas unangenehmer aus. Laut der Seite gibt es bis jetzt knapp 170 000 Tote zu beklagen und landet damit auf Platz 9 im Ländervergleich mit den meisten Toten. Die ägyptische Regierung hat es in der Hinsicht recht "erfolgreich" geschafft, Ägypten aus den schlimmsten Schlagzeilen herauszuhalten, denn schlechte Nachrichten bedeuten weniger Tourismus und das möchte man unter allen Umständen vermeiden. Das einzige andere Land, dessen dramatische Zahlen recht wenig medial diskutiert wurde, ist Russland, ebenfalls ein autoritärer Staat, der versucht, die wahre Lage im Land zu vertuschen. 

Ägypten auf Platz 9 der Liste mit absoluten Todeszahlen mit 170 000 Toten (statt der gemeldeten 13 000).



Natürlich kann ich nicht sagen, ob hier bereits neue Varianten die Runde machen, die sich schneller verbreiten oder aggressiver sind, mir würde aber kein Grund einfallen, warum das nicht so sein sollte. Nach Ramadan ging die Kurve anscheinend schon einmal nach oben, dieses Mal kann es durchaus schlimmer sein. 

Projektion Coronatote in Ägypten. Spannend zu sehen, dass hier die Projektion und der "worst case" praktisch zusammenfallen.

Bis Anfang Juni werden die Zahlen hier wohl stark ansteigen, so dass auch die Quote von Toten pro 100 000 Bewohner von Indien übertroffen wird (Höchstwert Indien: 1,11/17. Mai; Höchstwert Ägypten: 1,87/1. Juni). In absoluten Zahlen würden als am kommenden Monatswechsel etwa 1850 Tote pro Tag bedeuten. Letztes Jahr nach Ramadan gab es dagegen "nur" 1200 Tote/Tag. Im Vergleich dazu scheinen in Deutschland im Januar 2021 die Zahlen auf bis zu 1300 Tote/Tag gestiegen zu sein. Man darf aber nicht vergessen, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland grundsätzlich besser ist, schließlich wird etwa hundertmal so viel pro Bürger hier ausgegeben. Hier werden also viele privat versuchen an Beatmungsgeräte und Sauerstoff zu gelangen, also die, die es sich leisten können. Ich kann mir also gerade nicht vorstellen, wie das nicht in einer Katastrophe enden kann. Hier habe ich es ja mit dem privilegierten Teil der Bevölkerung zu tun, doch ich befürchte, dass viele meiner Schüler bist zum Beginn des nächsten Schuljahres noch manche Verluste in ihren Familien zu beklagen haben werden.  

Bei einer Regierung, die das Interesse der Bürger in den Vordergrund stellt - und wenn nur, um bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden -, könnte man sich jetzt fragen, welche Maßnahmen eingeleitet würden, um ein solches Szenario zu vermeiden. Hier aber werden Strände geschlossen, Moscheen dagegen offengelassen. Die Gläubigen gehen treffen sich also während des Ramadan in Innenräumen, um zu beten und sich dabei anzustecken und gehen anschließend zur Familie und essen gemeinsam, um sich auch da wieder anzustecken. (Aus dem gleichen Grund ging wohl die Kurve in Deutschland nach Weihnachten in die Höhe.)

Es wird also nur darum gehen: Kann die ägyptische Regierung es schaffen, die offensichtliche Katastrophe zu vertuschen? Wenn in westlichen Medien täglich über Ägypten berichtet würde wie jetzt über Indien, käme zur humanitären Katastrophe eine PR-Katastrophe hinzu. Und so traurig es klingt, letzteres scheint den Verantwortlichen hier wichtiger zu sein, um die Touristen nicht zu vergraulen. 

Wie so oft, ist der Schein hier wichtiger als die Realität. 


Freitag, 7. Mai 2021

Der raue Wind von Sonne und Sand

Vor ein paar Tagen starb ein Mitarbeiter der Schule. Im Vergleich zu einer Schule in Deutschland ist unser Mitarbeiterstab deutlich größer und besteht unter anderem aus Reinigungskräften, Busfahrern, technischen Mitarbeitern. Unsere Mitarbeiter sind in der Regel nicht alt. So auch hier.

In Ägypten weht der Wind rauer, stets mit dem Sand der Wüste, schleift er die Farben von Hausfassaden ab, durchdringt Hauswände und belegt die Lungen der Bewohner; die Sonne brennt auf die Köpfe der Bewohner, die erschöpft aufstöhnen, trotz moderner Gegenmittel wie Ventilatoren oder Klimaanlagen. 

Dieser raue Wind von Sonne und Sand bringt häufiger den Tod als in Deutschland. Viele meiner gleichaltrigen ägyptischen Freunde haben wenigstens einen Elternteil verloren. Mit 65 zu sterben ist absolut üblich, da wird die angegebene Todesursache nicht hinterfragt. In Deutschland kenne ich vielleicht zwei Leute in meinem Alter, die einen Elternteil verloren haben.

Ein Kollege, kaum fünf Jahre hier, kann sich an insgesamt drei Schüler erinnern, die während seiner Zeit gestorben sind. Einer starb im Bad, ein anderer wurde von Straßenhunden in eine Baustelle gehetzt, wo er in eine Grube fiel. Diese Liste wird durch einen Kollegen und weitere Mitarbeiter noch vergrößert.

Der raue Wind von Sand und Sonne bringt nicht nur häufiger den Tod, sondern auch Erschwernisse für die Lebenden. Ein paar Beispiele:

Menschen mit unbehandelten Klumpfüßen. Gibt es so etwas in Deutschland noch? 

Kinder, die sich auf mich stürzen wie Tauben auf ein Stück Brot, um in den Ruinen von Luxor West um Geld zu betteln.

Ein Mann bettelt an einer Abfahrt der Stadtautobahn; dabei sitzt er auf seinem Rump; wo mal seine Beine waren, sind nicht einmal die Stümpfe übriggeblieben.

Ein Mann bettelt mich an. Er sei Ingenieur gewesen und aus dem dritten Stock gefallen. Tränen in den Augen sowie der fehlende linke Unterarm verscheuchen jeden Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussage. 

Ein Mann ohne Arme bettelt zwischen Autos, die im Stau stehen. Selbst wenn ich ihm etwas geben wollte: Wie kann ich es ihm geben? 

Obdachlose gibt es auch in Deutschland. Aber keine Kinder. Manchmal noch Säuglinge mit ihrer Mutter, manchmal kaum vier oder fünf Jahre alt, die dürren Körper lassen die Augen noch größer erscheinen, zerrissene Kleider, der halbe Kopf kahlgefressen von Unterernährung oder einer unbehandelten Krankheit. Dabei schlafen sie oft unter einer Brücke. Nicht, um sich vor dem Regen zu schützen, sondern vor der Sonne. 

Ach ja, die Sonne. Sie brennt gerade wieder heftig auf das Land. Dabei ist Ramadan und die Menschen fasten, sie dürfen also während des Tages kein Wasser trinken. Natürlich gibt es Ausnahmen für Kranke und Schwangere. Aber die Kombination von Sonne und Fasten führt zu vermehrten Todesfällen unter älteren Menschen. 

Heute Nacht ist - ganz ohne Fasten - ein Kollege gestorben. 

Und so weht er wieder, der raue Wind von Sonne und Sand. 

Donnerstag, 6. Mai 2021

Freiheit oder Lockdown? - Coronapolitik Deutschlands und Ägyptens im Vergleich

Obwohl es nur knapp 1000 offizielle Fälle gibt - wie vor ein paar Tagen schon berichtet -, wird ab morgen das Land für zwei Wochen dichtgemacht. "Dichtmachen" heißt hier: Restaurants und Malls schließen ab 21 Uhr, Restaurants dürfen aber noch liefern. Parks und Strände werden geschlossen. Gebete in Moscheen sind nach wie vor erlaubt. Hier findet ihr mehr Infos. Dichtmachen ist hier natürlich eine deutlich, deutlich abgemilderte Fassung von einem Dichtmachen in Deutschland. Manch einer blickt also ein wenig neidisch auf die Situation hier und fragt sich: Wäre das nicht eine bessere Vorgehensweise für Deutschland gewesen, so ganz ohne Lockdown? 

Erst einmal sieht die Lage in Ägypten und ganz Afrika deutlich entspannter aus als in Deutschland. Deutschland vermeldet 83 000 Tote im Laufe der Pandemie, Ägypten 13 000, bei einer Bevölkerung, die um 1/4 größer ist. Alles entspannt also? Dagegen spricht die Situation vor Ort. Während ich unter meinen Bekannten in Deutschland, einer der wenigen bestätigten Coronafälle bin - für manche sogar der einzige in ihrem Bekanntenkreis -, sieht es in Ägypten anders aus. 

Hier gibt es kaum eine Kernfamilie mit Vater, Mutter, Kindern, in der es nicht wenigstens eine Erkrankung gibt und es gibt kaum eine Familie (also einschließlich Großeltern und Onkeln), in der es nicht wenigstens einen Todesfall gibt. In unserer Oberstufe hat es wohl wenigstens die Hälfte des Jahrgangs gehabt, vermutlich eher mehr. Viele Schüler haben dementsprechend Verwandte verloren, manche sogar einen Elternteil. Es wird allerdings nicht darüber berichtet, weder in ägyptischen noch in deutschen Medien. Ägyptische Politiker beten vermutlich jeden Tag, dass hier keine indischen Verhältnisse auftreten, so dass die wahre Situation verschleiert werden kann. (Selbst wenn indische Verhältnisse hier aufträten, heißt das nicht automatisch, dass jemand Verantwortung dafür übernehmen würde.)

Ins Krankenhaus gehen dabei nur die wenigsten. Selbst mein Arabischlehrer hat für seine Mutter Sauerstoffflaschen und Co nach Hause gebracht und sie dort versorgt, bevor sie verstarb. Soweit ich das beurteilen kann, gehört der gute Mann definitiv nicht zur Oberschicht und hat neben der Pflege auch einen enormen finanziellen Aufwand betrieben, um sie zu versorgen. Ein anderer Freund hat ebenfalls seinen Vater Zuhause versorgt, weil ein Krankenhausaufenthalt kategorisch vermieden werden musste.

Genau weiß ich nicht, was die Ursachen für die Probleme des Gesundheitssystems sind, aber ein Teil ist sicher Unterfinanzierung. So gibt Deutschland das Hundertfache pro Kopf im Gesundheitssystem aus wie Ägypten. Ein Arzt im öffentlichen Gesundheitssystem verdient knapp 16 € im Monat, genauso viel wie ein Soldat im Wehrdienst. Jetzt meinst du, verehrtester Leser vielleicht, "Moment!, da fehlen doch ein bis zwei Nullen. Das ist doch zum Leben viel zu wenig", dann hast du mit deiner Annahme vollkommen recht. Sechszehn Euro pro Monat, und dabei teilweise Schichten, die sich auf 80-100 Stunden pro Woche ansammeln können. Kein Wunder also, dass jeder Arzt versucht aus diesem System auszubrechen. 

Attraktivere Alternativen sind nämlich der Privatsektor, eine eigene Klinik eröffnen, ein Job im Westen oder eine Stelle bei Armee oder Polizei. Die Armeekrankenhäuser sollen so gut sein, dass sie die Qualität westlicher Krankenhäuser übertreffen. Aber jene sind - wer hätte es gedacht - eben nur für Armeeangehörige zugelassen; die meisten Ägypter sind sich selbst überlassen. Es ist also nicht nur ein Mangel an Ressourcen, die die Unterversorgung im Gesundheitssystem verursachen, sondern auch eine Verteilung der Ressourcen. Die Armee ist nun einmal viel wichtiger als die Bevölkerung. 

Vielen staatlichen Krankenhäusern kommt aufgrund des Vertrauensverlustes der Bevölkerung wohl mehr eine Rolle eines Hospizes zu und nur ganz verzweifelte Fälle gehen dorthin. Schließlich gibt es auch Berichte davon, dass man sich sehr einfach im Krankenhaus mit Corona angesteckt könnte, selbst wenn man es vorher nicht gehabt hätte. (Wobei solche Aussagen nicht immer ganz zu trauen ist, schließlich gibt es auch studierte Leute, die ihre Ansteckung auf "zu wenig Schlaf" zurückführen, obwohl sie kurz davor noch in Restaurants aßen, in der Mall Ski fuhren und sich auch sonst nicht einschränkten.) 

Gleichzeitig nehmen große Teile der Bevölkerung den Virus nicht besonders ernst. Es ist keine Seltenheit, dass im Supermarkt niemand die Masken aufzieht. (Auch hier verhindert die Klassengesellschaft, dass Angestellte die Kunden darauf hinweisen und eventuell auch aus dem Laden werfen.)

Nicht zuletzt ist es ein Problem, dass hier niemand die wahre Situation kennt. In Deutschland würden mehr Freiheiten auf besser informierte Bürger treffen, die ja die Inzidenzzahl in ihrem Kreis kennen und danach ihr Handeln auch ausrichten können. Hier aber wird so gut wie nicht getestet und die Tests sind viel weniger aussagekräftig als in Deutschland. Die Chance Corona zu haben und trotzdem mehrere Negativtests zu bekommen, ist hier viel größer, gleichzeitig wird viel weniger getestet. Und nur weil man positiv getestet wurde, werden die Fälle ja nicht in die offizielle Statistik mit aufgenommen. Demnach ist es für mich allein durch Medienberichte undurchschaubar, wie die tatsächliche Situation ist.

Meine Familie und Freunde, die in Deutschland unter dem Lockdown leiden, tun mir ehrlich leid, allen voran die Kinder. Die Coronapolitik der Regierung kann hier sicher unter vielen Gesichtspunkten kritisiert werden. Auch halte ich diese absolute Verbotspolitik für nicht unbedingt zielführend. Statt den Menschen die Möglichkeit zu geben sich draußen zu treffen, treffen sich sicher viele heimlich drinnen, was meines Erachtens der eigentlichen Absicht entgegenspricht. Und Regeln, die man nicht überprüfen und einfordern kann, kann man sich eigentlich auch gleich sparen. Da wären "Empfehlungen" sicher sinnvoller. 

Mein Punkt ist, dass hier in Ägypten diese "Freiheit" eben auch Konsequenzen mit sich bringt. Natürlich ist diese "Freiheit" keine echte Freiheit, denn sie entspringt hier ja aus einem Desinteresse der Regierung für die eigenen Bürger - sollen sie doch Kuchen essen! Die Infektionszahlen und Todeszahlen sind hier mindestens zehnmal, eher fünfzehnmal so groß wie offiziell verlautet. Damit lägen die Todeszahlen bei wenigstens 130 000 und ich befürchte, damit kommen wir immer noch nicht hin. Hoffentlich gehen die Infektionszahlen dank der vielen Familientreffen im Ramadan nicht völlig durch die Decke. Auszuschließen ist das meines Erachtens aber nicht.

Von daher kann meines Erachtens Ägyptens Politik gerade nicht als Vorbild für Deutschland gelten,  weil die Rahmenbedingungen dieser Freiheit eben ganz andere sind. Hier kann ich keine bewusste und informierte Entscheidung treffen, ob ich meine Wohnung verlasse, weil die tatsächliche Situation unklar ist. Was ich jetzt noch nicht berücksichtigt habe, ist die unterschiedliche Betrachtungsweise von Schicksalsschlägen, aber das ist ein Thema für eine anderes Mal.

 Auf Deutschland bezogen, denke ich, dass es noch mehr als nur die zwei Optionen "kompletter Lockdown" und "Überlastung des Gesundheitssystems" geben muss. Da gibt es sicher noch viel Luft nach oben hinsichtlich der Suche nach kreativen Lösungen, die mehr Freiheit, aber auch einen Schutz der Bevölkerung miteinander verbindet, sofern man sich von dem Wunsch nach absoluter Sicherheit verabschiedet. Da sind wir Deutschen auch ein ängstliches Volk. 

Für mich zeigen sich im direkten Vergleich beider Länder wie so oft zwei extreme Positionen. Wie so oft, halte ich einen mittleren Weg für erstrebenswert, nicht nur in der Politik, sondern gerade auch in der Mentalität.

An der Stelle würde mich tatsächlich interessieren, verehrtester aller Leser - ja, genau du, der das gerade hier liest, du bist wirklich mein Lieblingsleser; nicht die anderen, die finde ich alle doof -, wie deine Position zum Lockdown in Deutschland ist. Leidest du gerade sehr darunter?, unterstützt du die Maßnahmen? oder bist du gerade dabei eine bewaffnete Widerstandsgruppe zu gründen?  

Montag, 3. Mai 2021

Ramadan (III): Essensbestellungen

Stellen wir uns einen jungen Mann vor, charmant, dynamisch, sexy, der versucht regelmäßig zu kochen, gern auch in größeren Portionen, um die nächsten Tage von den gesunden und leckeren Vorräten zu zehren, um seinen stählernen Körper mit den notwendigen Nährstoffen zu Höchstleistungen anzuspornen. Stellen wir uns vor, er würde eines Tages in einem großen Topf Zwiebeln andünsten, dazu ein bisschen Knoblauch, klein geschnittene Karotten würden ebenfalls hineingeworfen, bevor die ca. 300 g braunen Linsen langsam eine hypothetisch entstehende Linsensuppe erahnen ließen. Eine Gemüsebrühe sowie Saft von zwei Orangen deckten die Masse ab und der Koch würde diesen Topf auf leichter Stufe weiterköcheln lassen. Wie gesagt, alles rein hypothetisch.

 Ebenfalls hypothetisch würde sich dieser muskulöse Mann für fünf Minuten hinlegen, vielleicht ist diese Erschöpfung eine Folge einer kürzlich überstandenen Corona-Infektion, wir wissen es nicht, es ist ja nur hypothetisch. Wenn aber nun diese geplanten und auch gefühlten hypothetischen fünf Minuten Schlaf nun eine hypothetisch-faktische Stunde angedauert hätten, so hätte sich in der Zwischenzeit die hypothetisch leckere Suppe mangels Aufsicht in hypothetisch-faktischen Müll verwandelt. 

 Dem geneigten Leser ist natürlich klar, dass ein solches Missgeschick auch den Besten unter uns passieren könnte und somit nur der den ersten Stein werfen sollte, der frei von Sünde ist. Wenn dieser junge, attraktive Mann aus unserem erfundenen Beispiel nun ein wenig geknickt, aber nach wie vor hungrig ist, so ist es nur nachvollziehbar, dass er auf seinem Handy eine Bestell-App öffnet, um sich Essen nach Hause liefern zu lassen, trotz des schlechten Gewissens Plastikmüll zu produzieren und weniger gesund essen zu können als ursprünglich geplant. Jetzt ist allerdings die Frage, inwiefern unterscheidet sich seine Bestellerfahrung mit und ohne Ramadan. Hierzu erfordert es eine profunde und gewissenhafte wissenschaftliche Untersuchung.

Oberfläche der Bestellapp Talabat.

 Jeder, der mich kennt, weiß, welche Opfer ich für die Wissenschaft zu bringen bereit bin und so bestellte ich bereits seit Wochen vor dem Ramadan fast täglich eine Mahlzeit, um dies mit meinen Erkenntnissen aus dem Ramadan abzugleichen. Das Ergebnis ist zwar leider keine empirische Datenbasis - meine Leidenschaft für die Wissenschaft hört eben da auf, wo die Arbeit beginnt -, aber ich habe meines Erachtens ein sehr fundiertes Gefühl, und Gefühle sind ja sowieso die Fakten des 21. Jahrhunderts. 

 Folgende Erkenntnisse sind festzuhalten:

Ohne Ramadan haben die meisten Restaurants dann geöffnet, wenn ich auch essen möchte. Das schließt Frühstück, Mittagessen, Abendessen und gegebenenfalls ein notwendiger Nachtsnack mit ein. 

 An Ramadan gibt es meist kein Frühstück, wenn ich ein Frühstück haben möchte. Dafür kann ich Essenspakete für Obdachlose ordern.

 Zu Mittag spielt man russisches Roulette. Ist mein bevorzugtes Restaurant geöffnet; nimmt es Bestellungen an, wenn es geöffnet ist; liefert es in einer angemessenen Zeit, selbst wenn es die Bestellung annimmt? Über jeder Bestellung schwebt dieses Damoklesschwert, welches ohne Ramadan nicht da wäre. Der Bestellvorgang wird also deutlich weniger vorhersehbar, weniger planbar und es kann passieren, dass man erst 30 Minuten essen kann, nachdem es eigentlich geplant war oder gezwungen ist, mit den Restaurants zu experimentieren, was selten zur Zufriedenheit ausfällt. 

 Kurz: Das Leben im Ramadan ist deutlich härter, fast feindselig, wenn es darum geht, nicht selbst kochen zu wollen. Gut, ich könnte selbst kochen, aber dazu habe ich im Moment zu viel Angst vor hypothetischen Missgeschicken. 


Sonntag, 2. Mai 2021

Ramadan (II): Alkoholkonsum

Drinkies ist die national größte Kette an Läden, die Alkohol verkauft und auch an die Haustür liefert. Im Angebot sind die drei üblichen Biersorten Heineken, Stella und Sakkara (und ihre merkwürdigen Bastardkinder), Wein sowie je eine Sorte an üblichen Schnäpsen wie Whiskey, Gin, Vodka etc. Letzteres entspricht - vorsichtig ausgedrückt - nicht dem europäischen Standard. Diese Kette schließt aber kategorisch für Ramadan, also vier Wochen lang. Somit muss der weitsichtige Alkoholkonsument vorher bestellen und sich mit Vorräten ausrüsten. Spannend finde ich dabei, dass Alkohol grundsätzlich in schwarzen, undurchsichtigen Tüten verkauft wird, so dass man von außen den Inhalt nicht erkennen kann und die Nachbarn nicht zu tuscheln beginnen; diese Tüten werden allerdings in einem "Drinkies"-Scooter geliefert, also einer Marke, die nichts anderes als alkoholische Getränke verkauft, und der "Drinkies"-Schriftzug ist natürlich von weitem lesbar, so dass die Nachbarn garantiert zu tuscheln beginnen. 

Alternativ gibt es noch andere Lieferanten, die unter der Hand liefern. Dazu gibt es anscheinend eine Liste von Namen und Telefonnummern auf Facebook. Vor ein paar Jahren hat ein wohlmeinender Zeitgenosse auch die Namen und Telefonnummern lokaler Haschischdealer hinzugefügt. Dies hat sich wohl auch wegen des öffentlichen Zugangs zu dieser Liste als kein besonders tragfähiges Konzept erwiesen und jetzt ist es wieder eine exklusive Liste von Alkoholhändler. (Mit Drogen zu dealen, kann in Ägypten mit der Todesstrafe oder lebenslanger Haft bestraft werden; gleichzeitig wird der Haschischkonsum – so wie ich das verstehe – nicht bzw. nicht streng bestraft.)

 In großen Hotels bekommt man immer noch ein Bier, man möchte ja die Touristen und zahlungskräftigen Ausländer glücklich machen; spannenderweise werden aber Ägypter dort grundsätzlich nicht mit Alkohol bedient, selbst wenn sie Kopten sind, also gar nicht fasten. Und ja, die Religion steht im Pass, diesen Umstand kann man also nachprüfen. Finde ich persönlich etwas schwierig, dass ein Teil der Bevölkerung mitverpflichtet wird, an einer religiösen Praxis teilzunehmen. Andererseits haben wir in Deutschland das Tanzverbot an Karfreitag (das Tanzverbot am Volkstrauertag ist ja nicht religiös begründet); arbeitsfreie Sonntage, religiöse Feiertage und sicher noch andere Punkte, die mir gerade nicht einfallen. Aber das Gebot wenigstens im öffentlichen Raum mitzufasten, finde ich ein wenig übergriffiger, aber darüber kann man sicher streiten.

Bevor mir aber eine alkoholkranke Lebensweise unterstellt wird: Ich trinke hier insgesamt viel weniger. Man muss hier schon mehr Mühe in Kauf nehmen, etwas zu bekommen und die Variation an Getränken ist schon recht gering. Hier kann ich viel seltener - ganz ohne Ramadan - Genusstrinken. So kenne ich z.B. nur einen Italiener, bei dem es zur Pizza auch Wein gibt. Am meisten Lust hätte ich aber mal wieder Lust auf andere Biersorten. 


Samstag, 1. Mai 2021

Ramadan (I): Der ungewöhnliche Ladenschluss und seine Vorteile

Ramadan in Deutschland und Ramadan in Ägypten spiele - wenig überraschend - in zwei unterschiedlichen Gewichtsklassen. So habe ich in Deutschland Ramadan immer nur am Rande mitbekommen, mehr zufällig als geplant. Hier dagegen wurde ich das erste Mal mit Menschen kofrontiert, die nicht wussten, wann Weihnachten beginnt. Gut, etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind Kopten, quasi orthodoxe Christen, die im Januar feiern. Aber selbst wann das ist, ist vielen Muslimen nur so halb bewusst. (Kein Vorwurf, geht mir mit Ramadan außerhalb von Ägypten genauso.) Dagegen prägt der Ramadan das Leben hier. 

Wie betrifft Ramadan das Leben eines Menschen, der selbst nicht fastet? Im folgenden werde ich anhand dreier Punkte - Ladenschluss, Alkoholverkauf und unerwartete Beschränkungen bei der Essensbestellung - aufzeigen, wie sich der Ramadan hier für mich bemerkbar macht.

Ladenschluss

Ramadan hat neben Einschränkungen auch Vorteile. So ist eine Einschränkung, dass viele Läden mit Sonnenuntergang (oder kurz davor) schließen. Supermärkte öffnen anschließend, aber mein Friseur offensichtlich nicht. Eines Tages, ca. drei Wochen nachdem meine Frisur aufgehört hatte, respektabel auszusehen, betrat ich den Friseurladen etwa eine dreiviertel Stunde vor Ladenschluss. Normalerweise brauche ich etwa zwei Stunden dort, weil mir neben dem Haarschnitt auch noch Gesichtsmasken angeboten werden, Entfernung von Haaren in diversen Gesichtskörperöffnungen, Maniküre, Pediküre, Dampfbäder und natürlich der Haarwäsche. Gut, ich mache da nicht alles mit, und bei den meisten Sachen habe ich keine Ahnung, wofür das überhaupt gut sein soll, aber es ist günstig und ich bekomme Aufmerksamkeit. Die Hälfte der zwei Stunden Aufenthaltsdauer lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass sie mich die Hälfte der Zeit vergessen, aber hey!, was soll's. 

Beispiel: Zusätzliche Dienstleistungen beim Friseur,
z.B. sadistische Spiele und Gesichtsmasken.

An Ramadan lief es dann aber ein wenig anders. Es schien mir, als hätte der Friseur es nach zwölf Stunden ohne Essen und Trinken es irgendwie eilig nach Hause zu kommen. Als jemand, der auch schon mal vier Stunden unfreiwillig gefastet hat, kann ich seine Essenssehnsucht ja nur erahnen. So schnell hat mir jedenfalls noch keiner die Haare geschnitten. Und entgegen des Usus gab es kaum weitere Angebote für Gesichtspeeling, Maske und Co. Da ich es eh eilig hatte, nenne ich das mal eine Win-Win-Situation und nehme mir für die Zukunft vor, häufiger kurz vor Ladenschluss Geschäfte zu betreten, weil sich dann der Besuch auch auf das Geschäft beschränkt und man sich nicht erst setzen muss, einen Tee bekommt, ein bisschen plaudert über Gott und die Welt, bevor man sein Anliegen kundtun kann. Da merke ich doch meine pragmatisch deutsche Prägung. Außerdem rede ich ja nicht gerne.

Allerdings würde ich aber darauf verzichten, das Taxi kurz vor Sonnenuntergang zu nehmen. Denn auch diese haben es eilig nach Hause zu kommen; und fast alle anderen Verkehrsteilnehmer auch. Die Straßen sind somit zwar leerer, aber auch gefährlicher. Von daher bin ich da etwas zurückhaltender.

Donnerstag, 29. April 2021

Lagebericht April 2021

 Da ich lange nichts mehr geschrieben habe, folgt eine knappe Darstellung meiner aktuellen Lage:

 Wohnung

Eigentlich bin ich mit meiner - jetzt nicht mehr ganz so neuen - Wohnung ja zufrieden. Aber es scheint, dass ich mich mit meinen Vermietern zerstritten habe. Mal wieder. „Scheint“ deshalb, weil sie mit mir nicht mehr wirklich reden. Auf Whatsapp-Nachrichten bekomme ich keine wirkliche Antwort mehr und Versprechungen werden nicht eingehalten. Ach, und einmal hat mich die Vermieterin angeschrien. Ansonsten ist ihr Verhalten aber eher passiv-aggressiv. In einem anderen Blogpost werde ich - inshallah - mal ein wenig mehr auf die Vermieter und mich eingehen; allerdings befürchte ich gähnende Langeweile angesichts dieses profanen Themas. Es geht nämlich vor allem um Wasserhähne und um die Zuständigkeit, wer den Klempner bezahlen sollte. 

Corona

Die Lage ist grundsätzlich schwierig einzuschätzen. Die offiziellen Zahlen stiegen in den letzten vier Wochen von 700 auf knapp etwas über tausend. Leider sind diese Zahlen absolut unzuverlässig. Momentan wird berichtet, dass Krankenhäuser Patienten schon abweisen und nicht mehr genügend Sauerstoff hätten. Ob es sich hier um Einzelfälle, einzelne Hotspots oder eine allgemein angespannte Situation handelt, kann ich nicht beurteilen. In der regierungsnahen Presse wird natürlich alles heruntergespielt und behauptet, alles sei unter Kontrolle. Da vermisse ich schon die freie Presse von Zuhause. 

 Trotz der unübersichtlichen Lage habe ich keine Angst an Corona zu erkranken. Das liegt aber vor allem daran, dass ich es schon hatte. Insgesamt würde ich sagen, bei mir war es – ilhamdulillah – nur ein "mittelleichter Fall": Grippesymptome mit besonders ausgeprägter Schlappheit waren schon da; war also kein asymptomatischer Fall, andererseits hatte ich keine Atem- und gravierenden Hustenprobleme. Von daher möchte ich mich nicht beschweren. Leider hatte ich in der Zeit unglaublich viel zu korrgieren, so dass ich jetzt noch dran sitze, diese beruflichen Auswirkungen auszubaden. Nervig, aber auch nicht mehr. Nerviger ist allerdings, dass ich mich noch immer nicht so richtig fit fühle und deutlich schneller müde werde als sonst. 

 Impfungen

Auch in Ägypten wird geimpft, momentan v.a. mit einem chinesischen Präparat (Sinovac) und mit in Indien produziertes AstraZeneca. Je nach Stadteil kann man sehr schnell an einen Impftermin kommen oder eben nicht. Grundsätzlich scheint die Impfbereitschaft eher niedrig ausgeprägt zu sein. Zahlen habe ich keine, aber mir wurde das v.a. mit der Staatsferne der Bürger erklärt. Tagtäglich, jahrein, jahraus werden die Bürger hier verarscht. Die Elite kümmert sich hauptsächlich um die eigene Machtsicherung und weniger um die Belange der Menschen. Diese glauben bei dem Impfangebot sicherlich nicht daran, dass dieser Staat jetzt plötzlich deren Wohl im Blick hat, und unterstellen niedere Motive. Klar, Ägypten hat momentan sicher auch das Problem, genügend Impfstoffe zu bekommen. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Zahl der Impfverweigerer deutlich größer bleibt als z.B. in Deutschland. 

Generell macht sich hier schon ein geringeres Verständnis für das Wesen einer Pandemie und Einhaltung von Kontaktbeschränkungen deutlich. Ja, in der Regel wird man beim Betreten eines Geschäftes oder einem Museum aufgefordert, die Maske anzuziehen und dabei wird die Temperatur gemessen. Allerdings wirkt das oft nicht überzeugender wie die Metalldetektoren, die an fast jedem Eingang stehen, aber außer in den großen Malls meist nicht einmal mit Strom versorgt werden. Nach dem Betreten nehmen die viele - aber nicht alle - Menschen ihre Masken wieder ab. 

 Schule

Das Abitur ist durch! Ich hatte zwei Abiklassen, eine in Deutsch, eine andere in Geschichte. Die schriftlichen Klausuren konnten wir im Februar schreiben lassen. Unsere Flure sind zu einer Seite hin offen, so konnten die Schüler dort schreiben. Im Februar ist es morgens noch ein wenig frisch, aber wir hatten eine recht milde Woche erwischt. Die mündlichen Prüfungen wurden aber abgesagt. Ab kommender Woche habe ich dann ein paar Stunden weniger Unterricht pro Woche, was mich doch recht freut. Für die Schüler war das definitiv ein doofes Jahr. Viele beklagten sich, die Schule finde Mittel und Wege, Prüfungen stattfinden zu lassen, aber wenn es um Festlichkeiten (oder andere schöne Dinge) geht, würden diese abgesagt. Grundsätzlich war der Stress für viele (auch uns Lehrer) deutlich höher. Insgesamt litt die Lehrer-Schüler-Beziehung schon arg unter der räumlichen Distanz. 

 Ramadan

Es ist Ramadan! Es ist schon "mein" zweiter Ramadan, aber letztes Jahr habe ich so gut wie nichts davon mitbekommen. Ihr wisst schon, wegen dieser Pandemie und so. Kurze Erinnerung: Während des Ramadan fasten die Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, können dafür nachts so viel essen wie sie möchten. Bei diesem "iftar" (=Frühstück) kommt immer die ganze Familie zusammen und futtert bis tief in die Nacht. Die Schule beginnt bei uns momentan etwas später, und hat auch die Stunden gekürzt. 

Draußen auf den Straßen gibt es oft besondere Essensangebote für Obdachlose und Arme, wobei das nicht auf diese Zielgruppen beschränkt ist. Nicht einmal auf Muslime ist es beschränkt. Die ganz großen Angebote in der Innenstadt sind auch dieses Jahr abgesagt, ansonsten scheint aber wieder mehr möglich zu sein. So sind meines Erachtens auch die Moscheen geöffnet. Angeblich darf man mit Mindestabstand und Maske beten, aber ob dass in der Praxis auch eingefordert wird, wage ich zu bezweifeln. Von daher ist zu erwarten, wie sich der Ramadan auf die Coronasituation im Land auswirkt.