Sonntag, 9. Mai 2021

Kleiner Blick in den Abgrund: Corona-Prognose für Ägypten

 Die Seite covid19.healthdata.org/ ist eine Seite des US-amerikanischen Institute for Health Metrics der Universität Washington (der Bundesstaat, nicht die die Stadt). Dort wird versucht, die offiziellen Daten zu Infektionen und Todeszahlen mit realistischeren Berechnungen zu vergleichen. Ebenso werden Projektionen erstellt, was vermutlich passieren wird, dazu im schlechtesten Fall und im besten Fall bei einer Maskennutzung von 95%. Die Methodik habe ich nicht ganz durchschaut, insgesamt wirkt die Seite seriös, aber vermutlich kann auch dieses eine Modell nicht alles abdecken bzw. vorhersagen. Das Modell geht meines Erachtens davon aus, dass die Dunkelziffer unter Corona-Toten recht hoch ist, aber eben abhängig vom Land. Andererseits haben sie mit einberechnet, wenn Menschen wohl ungerechtfertigterweise diesen Toten zugerechnet wurden und haben sie herausberechnet. 

Weltweit gebe es hier also 6,8 Millionen Tote statt der gemeldeten 3,2 Millionen (1. Mai 2021), insgesamt werden bis zum 1. September 9,4 Millionen vorhergesagt. Die Zahl der tatsächlichen Coronatoten wird für Deutschland hier mit knapp 120 000 Toten angegeben, allerdings kommen bis September "nur" noch 16 000 hinzu. Das Schlimmste scheint dort überstanden zu sein.

Projektion Coronatote in Deutschland. Die projizierte Line (violett) bewegt sich dabei zwischen "worst case" und bestem Falle, wenn alle Menschen eine Maske trügen.

Für Ägypten sieht die Situation insgesamt etwas unangenehmer aus. Laut der Seite gibt es bis jetzt knapp 170 000 Tote zu beklagen und landet damit auf Platz 9 im Ländervergleich mit den meisten Toten. Die ägyptische Regierung hat es in der Hinsicht recht "erfolgreich" geschafft, Ägypten aus den schlimmsten Schlagzeilen herauszuhalten, denn schlechte Nachrichten bedeuten weniger Tourismus und das möchte man unter allen Umständen vermeiden. Das einzige andere Land, dessen dramatische Zahlen recht wenig medial diskutiert wurde, ist Russland, ebenfalls ein autoritärer Staat, der versucht, die wahre Lage im Land zu vertuschen. 

Ägypten auf Platz 9 der Liste mit absoluten Todeszahlen mit 170 000 Toten (statt der gemeldeten 13 000).



Natürlich kann ich nicht sagen, ob hier bereits neue Varianten die Runde machen, die sich schneller verbreiten oder aggressiver sind, mir würde aber kein Grund einfallen, warum das nicht so sein sollte. Nach Ramadan ging die Kurve anscheinend schon einmal nach oben, dieses Mal kann es durchaus schlimmer sein. 

Projektion Coronatote in Ägypten. Spannend zu sehen, dass hier die Projektion und der "worst case" praktisch zusammenfallen.

Bis Anfang Juni werden die Zahlen hier wohl stark ansteigen, so dass auch die Quote von Toten pro 100 000 Bewohner von Indien übertroffen wird (Höchstwert Indien: 1,11/17. Mai; Höchstwert Ägypten: 1,87/1. Juni). In absoluten Zahlen würden als am kommenden Monatswechsel etwa 1850 Tote pro Tag bedeuten. Letztes Jahr nach Ramadan gab es dagegen "nur" 1200 Tote/Tag. Im Vergleich dazu scheinen in Deutschland im Januar 2021 die Zahlen auf bis zu 1300 Tote/Tag gestiegen zu sein. Man darf aber nicht vergessen, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland grundsätzlich besser ist, schließlich wird etwa hundertmal so viel pro Bürger hier ausgegeben. Hier werden also viele privat versuchen an Beatmungsgeräte und Sauerstoff zu gelangen, also die, die es sich leisten können. Ich kann mir also gerade nicht vorstellen, wie das nicht in einer Katastrophe enden kann. Hier habe ich es ja mit dem privilegierten Teil der Bevölkerung zu tun, doch ich befürchte, dass viele meiner Schüler bist zum Beginn des nächsten Schuljahres noch manche Verluste in ihren Familien zu beklagen haben werden.  

Bei einer Regierung, die das Interesse der Bürger in den Vordergrund stellt - und wenn nur, um bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden -, könnte man sich jetzt fragen, welche Maßnahmen eingeleitet würden, um ein solches Szenario zu vermeiden. Hier aber werden Strände geschlossen, Moscheen dagegen offengelassen. Die Gläubigen gehen treffen sich also während des Ramadan in Innenräumen, um zu beten und sich dabei anzustecken und gehen anschließend zur Familie und essen gemeinsam, um sich auch da wieder anzustecken. (Aus dem gleichen Grund ging wohl die Kurve in Deutschland nach Weihnachten in die Höhe.)

Es wird also nur darum gehen: Kann die ägyptische Regierung es schaffen, die offensichtliche Katastrophe zu vertuschen? Wenn in westlichen Medien täglich über Ägypten berichtet würde wie jetzt über Indien, käme zur humanitären Katastrophe eine PR-Katastrophe hinzu. Und so traurig es klingt, letzteres scheint den Verantwortlichen hier wichtiger zu sein, um die Touristen nicht zu vergraulen. 

Wie so oft, ist der Schein hier wichtiger als die Realität. 


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