Freitag, 4. September 2020

Rückblick: Mein erstes Jahr in Ägypten

 Wer den Blog mit seinen 2,5 Artikeln pro Jahr aufmerksam liest, bemerkte zu Beginn des Septembers 2019, dass der erneut aufkeimende Strom an regelmäßigen Blogbeiträgen wieder versiegte. Der Grund meines Nichtschreibens lag nicht daran, dass es nichts zu schreiben gab - im Gegenteil! Doch die Arbeit an der Schule überwältigte mich dann doch gerade im ersten Halbjahr, so dass ich oft keine Mußestunde fand, um mich wirklich hinzusetzen und meine Gedanken und Gefühle auf das digitale Papier zu ergießen. Im Nachgang betrachtet wäre das Schreiben aber nicht nur eine gute Methode gewesen, um den überquellenden Stress auch wieder abzubauen, nein, auch bedauere ich, die Entwicklung meiner Beziehung zum Land nicht genauer dokumentiert zu haben. So bleibt mir momentan nur noch meine teils wache, teils verschwommene Erinnerung an das letzte Jahr. Hiermit gelobe ich Besserung! … wie bei jedem Beitrag, der meinen Blog aus der tiefsten Versenkung heben möchte. Mal wieder. 

Wenn ich das vergangene Jahr  dem ungeduldigen Leser zeigen möchte, der vermutlich nur zufällig hier hereinstolperte und bereits auf dem Sprung  zu einer Verabredung ist, und mit einem "nur ganz kurz" diese Zeilen überfliegen möchte, so muss ich mich deutlich kürzer fassen, als es dem Jahr und meiner persönlichen Veranlagung zu verbalen Ausschweifungen gerecht wird. In dieser groben Skizze liegt aber sicher auch eine Chance, ein Mosaik aus den Steinen der Einzelerfahrungen zusammenzufügen und die einzelnen Steine dann später, sofern ich es schaffe, meinen Schreibimpuls in eine regelmäßige Gewohnheit zu gießen, später noch einmal in die Hand zu nehmen, um sie genauer zu betrachten. Inshallah - so Gott will - würde der Ägypter dazu sagen.

Das vergangene Jahr würde ich grob in unterschiedliche Phasen einteilen. Die Anfangseuphorie in den ersten sechs bis acht Wochen ging in die Phase der ersten Frustrationen über die Herausforderungen an Schule und kulturell fremder Umwelt über. Spätestens ab Dezember nahm mich die Schule mit Korrekturen völlig ein, ich war alleine dadurch völlig gestresst und unleidlich, mir selbst und meinem Umfeld gegenüber, und erst als die Halbjahreszeugnisse ausgedruckt, gestempelt, unterschrieben und ausgeteilt wurden, entspannten sich meine Nerven. Die anschließende Phase war geprägt von Ausflügen innerhalb Kairos und ins Umfeld mit seinen Bazaren, Moscheen, Pyramiden; allgemein eine Phase der Entdeckungen mit dem Gefühl in diesem doch sehr fremden Land die ersten Hürden erfolgreich überwunden zu haben. Gerade wenn ich auf diese Phase zurückblicke, bin ich unglaublich froh und dankbar so viel unternommen zu haben, denn danach - der geneigte Leser hat es vielleicht aus den Nachrichten erfahren - führte eine Pandemie dazu, dass der gesamten Welt der Stecker gezogen wurde. Angst und Einsamkeit prägten die kommenden Wochen. Angst vor einer Ansteckung, vor einer kollabierenden Gesellschaftsordnung, vor der Zombieapokalypse. Auch wenn ich als Alleinstehender Einsamkeit gewohnt bin, war diese Einsamkeit heftig. Kairo als Stadt ist bereits in pandemiefreiem Zustand ein Seelenfresser. Sofern ich es mir zeitlich leisten konnte, fühlte ich mich zum Schutz meiner mentalen Gesundheit verpflichtet wenigstens einmal monatlich diesem Moloch zu entfliehen. Einen "Lockdown" wie in westlichen Staaten gab es zwar nicht … aber mehr oder weniger ein halbes Jahr am Stück - von Tagesausflügen abgesehen - in dieser Stadt zu leben, in meinem hässlichen, verdreckten und vermülltem Viertel, ohne zu wissen wie es weitergeht, ohne Freunde und Familie, war: hart. 

Ab Ende Mai begann dann die Endphase des ersten Schuljahres unter ungewöhnlichen Bedingungen. Durch einen Ausflug nach Siwa entspannte ich mich ein wenig. In mir drängte sich nur der Wunsch in den Vordergrund, das Schuljahr nur noch halbwegs ordentlich zu beenden. Irgendwie beenden, morgens irgendwann aufzustehen, und irgendwie noch die Zeugnisse austeilen. Aushalten, durchhalten war die Devise. Der sich immer weiter nähernde Fixpunkt mit der Zeugnisausgabe half  dabei die Moral etwas über Wasser zu halten. Besonders stolz bin ich dann auf meinen frisch erworbenen Tauchschein, den ich unter nicht ganz legalen Bedingungen am Roten Meer noch machen konnte, bevor ich Anfang Juli, in nicht geringem Maße erleichtert, nach Deutschland zurückflog.

Mein erstes Jahr als Lehrer in der größten Stadt Afrikas während der größten Pandemie seit 1920 hatte ich damit überstanden. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen